Karl W. Deutsch: Politische Kybernetik – Modelle und Perspektiven
„Sozialwissenschaft in Theorie und Praxis“. Bd. 6. Herausgegeben von René Ahlberg. Dritte unveränderte Auflage 1973. Verlag Rombach Freiburg im Breisgau. 1. Aufl. 1969, 2. Aufl. 1970.


Aus dem Amerikanischen übersetzt von Erwin Häckel nach der erweiterten Neuauflage von 1966 The Free Press, A Division of the Macmillan Company. 1. Auflage 1963

Originaltext in Verdana / eigene Anmerkungen in Times Roman
Das Buch sollte im Original gelesen werden; ich konnte und wollte nur Auszüge heranziehen, die ein Minimum an Verständnis über die bedeutend eingehender dargelegten Zusammenhänge bewirken sollen.


Karl Wilhelm Deutsch hatte sich seit 1962 mit diesem Gebiet befasst und geht in der Einleitung auf andere Ergebnisse auf dem Gebiet der Kommunikations-und Steuerungsprozesse ein:

Die Integration und Desintegration großer politischer Gemeinschaften im Zusammenhang mit Kommunikations- und Steuerungsprozessen wurde in zahlreichen Untersuchungen weiter erforscht... (a. a. O. S.13)
In engem Zusammenhang mit dem Problem der Integration steht die „Empfänglichkeit“ (responsiveness) einer Regierung, Organisation oder Gruppe gegenüber Nachrichten und spürbaren Bedürfnissen einzelner Menschen oder anderen politischer oder sozialer Einheiten. Es handelt sich hier imgrunde um einen kybernetischen Begriff, der die Wahrscheinlichkeit positiver oder adäquater Reaktionen innerhalb eines relevanten Zeitraumes anzeigt, wobei die Definition dessen, was positiv, adäquat und relevant ist, von den empirischen Merkmalen des jeweils untersuchten Systems abhängt. (a. a. O. S.14,15)
Im Bereich der Laboratoriumsversuche entdeckten Anatol Rapoport und seine Mitarbeiter in umfangreichen Experimenten mit einem Spiel, das sie „Gefangenen-Dilemma“ nannten, daß die Häufigkeit kooperativen Verhaltens relativ wenig von der persönlichen Veranlagung der einzelnen Spieler abhing, dafür umso mehr vom „Sperreffekt“, der in den ersten Spielrunden entsprechend der von den Spielern erfahrenen Empfänglichkeit oder Feindseligkeit wirksam wurde und deren Verhalten für den Rest eines Spieles mit 300 Spielrunden zu beeinflussen schien.


Die Empfänglichkeit für Biotelie ist derzeit gering, da sich sowohl Regierung als auch „Opposition“ in Eintracht mit den Medien auf den linken Kurs gegen fast alles Konservative eingeschworen haben, was allerdings zum Verlust konstruktiver Politik und in den Zusammenbruch führt. Erst im Zusammenbruch könnte Biotelie ins Spiel kommen, wenn es mit Hilfe von Einsichtigen und Verantwortungsvollen gelingt, das biotele Gutachtensystem als Ausweg wenigstens sichtbar bleiben zu lassen.
Der „Sperreffekt“ ist auch besonders stark gegen die biologische Sicht mit Beachtung des Aspekts der Auslese, gegen den sich zu versündigen besonders schwer wiegt, da ja die natürliche Entwicklung vom Naturgesetz der Auslese bestimmt wird. Ausgelöst wurde dieser Sperreffekt durch den Genozid an den Juden und das Euthanasieprogramm des deutschen Nationalsozialismus, der damit selbst in grässlicher Weise gegen die AUSLESE und Menschlichkeit verstieß.


Einige dieser Arbeiten dokumentieren bereits jene Schwerpunktverlagerung, die in den vergangenen vier Jahren beschleunigt vor sich gegangen ist: eine Tendenz zur umfassenderen und zugleich sorgfältigeren Verwendung quantitativer Daten in der politischen Forschung. Diese „Datenwelle“ rennt schon seit längerer Zeit auf uns zu... (a. a. O. S.15)


Insgesamt wird hier indirekt auch die negative Wirkung vorhergesagt, welche ein politisch motivierter Datenschutz auch auf die anderen Wissenschaften hat. Anders ausgedrückt: es wird die Notwendigkeit sichtbar, möglichst viele, auch als „persönlich“ abgestempelte, Daten geschützt vor unberechtigtem Zugriff zu bewahren.


Gemäß diesem theoretischen Beispiel wurden zahlreiche Daten gesammelt und analysiert, aus denen hervorging, daß die Außenhandelsquote (Die Summen der Ein- und Ausfuhren als Prozentsatz des Bruttosozialprodukts) mit zunehmender Bevölkerungszahl rapid abfällt: ein Staat, der etwa ein Fünfzehntel der Menschheit umfaßt, wickelt mit der übrigen Welt nur noch einen Außenhandel von weniger als einem Zehntel seines Bruttosozialprodukts ab. Diese Entdeckung einer sich beschleunigenden Tendenz zur Selbstabschließung bei zunehmender Bevölkerungsgröße eines Landes kam unerwartet; sie war das unmittelbare Ergebnis der erwähnen theoretischen Interessen. (a. a. O. S.18)


Ob dieses Untersuchungsergebnis — etwa für China — heute noch bestätigt werden könnte?? Wäre eine derartige Autarkie aber nicht auch zum Teil wünschenswert, um etwa nach schweren lokalen etwa kosmisch bedingten Katastrophen Überlebenschancen zu heben?


Ist die Annahme einer rationalen Gesellschaft gerechtfertigt?

Im ersten dieser Streitpunkt geht es um die Frage, ob nicht in der Idee einer selbststeuernden Gesellschaft ein „typisch amerikanisches“ Vorurteil zugunsten einer optimistischen und rationalistischen — oder auch konservativen — Betrachtungsweise stecke. Werden machtvolle Interessengruppen nicht gleichsam dafür belohnt, daß sie sich weigern, etwas zu lernen, oder dafür, daß sie nur auf pathologische Weise lernen, und werden solche Interessengruppen nicht mit großer Wahrscheinlichkeit jedes rechtzeitige und lebenserhaltende Lernen, jede Selbstkorrektur ihrer Gesellschaft blockieren? Läuft nicht die Betrachtungsweise der Kybernetik auf eine Apologie der bestehenden Gesellschaften hinaus, indem sie dieser als rationaler und lernfähiger erscheinen lassen, als sie tatsächlich sind?... (a. a. O. S.22)
Werte sollten uns nicht blind für Tatsachen machen, und Tatsachen nicht dazu dienen, unsere Werte zu verleugnen...

Im Mittelpunkt der hier vertretenen Weltanschauung steht das Bestreben, jedem endlichen Geist, jeder endlichen Gruppe einen Zugang zum Unendlichen, das heißt die Möglichkeit zur Kommunikation mit einer potentiell unerschöpflichen Umwelt und mit einer potentiell unbegrenzten Zukunft zu erhalten.
Daraus folgt, daß von diesem Standpunkt aus der Selbstmord und jedes andere Verhaltensmuster der Selbstzerstörung, der Ausweglosigkeit, der extremen Selbstisolierung oder Selbstlähmung als schlecht zu bezeichnen ist.

Lebensfördernde Verhaltensmuster sind jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit verhältnismäßig leicht mit anderen Werten in Einklang zu bringen, die vom Handelnden selbst oder anderen Personen oder Gruppen erstrebt werden. Die potentielle Legitimität solcher lebensbejahender Werte — Das heißt ihre Vereinbarkeit mit anderen Werten — wird in der Regel deshalb sehr hoch sein... (a. a. O. S.24)

Eine geistige Zielsetzung für unser Zeitalter
Vom Standpunkt der Kybernetik aus gesehen muß es deshalb unser Ziel sein, die menschliche Leistungsfähigkeit sowohl im Bereich der Intelligenz wie im Bereich des Gefühls zu steigern. Dazu gehört auch die Fähigkeit, mit künstlich konstruierten und künstlich erweiterten Geisteskräften und mit dem Universum in uns und um uns umzugehen — also mit dem. Was Karl Jaspers >das Umgreifende< genannt hat... (a. a. O. S.25)
Das Streben nach verstärkten Geisteskräften auf der Ebene des manipulativen Denkens [Verstandes], der Weisheit [Abwägung des Wertes von Lösungsstrategien] und des wahrnehmenden Denkens [Vernunft] wird sich höchstwahrscheinlich in einem Ensemble von Dialogen verwirklichen: intern zwischen den einzelnen Bereichen der individuellen Persönlichkeit; gesellschaftlich im Austausch zwischen kleineren und größeren Gruppen sowie zwischen Staaten und Nationen; und in der in Stille, in Gedanken, Forschungen und Befunden, zwischen dem einzelnen Wissenschaftler und dem äußeren und inneren Universum der ihn umgebenden Natur... (a. a. O. S.25,26)
[ ] mein Zusatz als verkürzte Deutung K. W. Deutschs. Vernunft wird als „Aufnahmebereitschaft für systemfremde Informationen...aus dem übrigen Universum, >Intelligenzverstärkung< im Sinne W.Ross Ashby von K. W. Deutsch verstanden, was ja dem Wortsinn des Vernehmens entspricht.

 

Vorwort

Dieses Buch ist ein Zwischenbericht über ein geistiges Unternehmen, das noch andauert. Am Ende dieses Unternehmens soll eine Theorie der Politik stehen, die sowohl den nationalen als auch den internationalen Bereich umspannt... (a. a. O. S.29)

Letzten Endes sollte eine ausgereifte Theorie dieser Art uns erkennen lassen, welche politischen Werte und Handlungsweisen lebensfähig, wachstumsfähig und schöpferisch sind. Es gibt heute keine solche Theorie...
Aber es dürfte klar sein, daß vor uns immer noch die Aufgabe liegt, eine umfassende, zusammenhängende, relevante und — so möchte ich hoffen — zunehmend wirkungsvolle Theorie der Politik zu schaffen und auszubauen... (a. a. O. S.30)
Im wesentlichen geht es auf den Seiten dieses Buches um Ideen,Theoreme und Modelle, die den Naturwissenschaften entnommen sind, insbesondere der Theorie der Kommunikation und Steuerung, die man oft — mit einem Ausdruck von Norbert Wiener — als >Kybernetik< zu bezeichnen pflegt... (a. a. O. S.30,31)
Dieses Buch vertritt die Auffassung, daß es nützlich sein könnte, den Regierungsprozeß nicht so sehr als Problem der Macht, sondern eher als Problem der Steuerung zu betrachten, und es versucht zu zeigen, daß Steuerung im Grunde ein Problem der Kommunikation ist.... (a. a. O. S.31)


Erster Teil
Auf der Suche nach Modellen der Gesellschaft und Politik (a. a. O. S.37)


...Erkenntnis und Modelle in der Sozialwissenschaft...
Verstehen bedeutet deshalb immer: auslassen und auswählen. In diesem Sinne ist Erkenntnis niemals >objektiv<.
Verstehen bedeutet aber: Anpassung unserer Auswahlkriterien an die Bedürfnisse der Praxis, der unsere Erkenntnis dienen soll... (a. a. O. S.41)
Karten und Zeitdiagramme leisten aber mehr als nur die Aufzeichnung bestehender Erkenntnisse. Sie können Wege zu neuer Erkenntnis aufzeigen; sie können bei der Voraussage von Regelmäßigkeiten helfen, die durch spätere Erfahrung oder Messung bestätigt oder auch nicht bestätigt werden...
Allgemeine Voraussagen über Interessenfragen gehören zur heuristischen Funktion von Modellen; sie sagen uns, wo wir irgendetwas erwarten können. Besondere Voraussagen über Verteilungszustände sind Voraussagen im eigentlichen Sinne — etwa über künftige Zuwachsraten der Bevölkerung, über voraussichtliche Änderungen der Marktlage oder der Nachfrage nach Rohstoffen, über Konjunkturschwankungen oder über Veränderungen der militärischen Schlagkraft oder politischen Stabilität — sind den Sozialwissenschaftlern durchaus geläufig... (a. a. O. S.43)
Die Naturwissenschaftler können auf diese Weise die Wahrscheinlichkeit von Sturmfluten für den Fall voraussagen, daß die Gehzeiten, die Mondphase, die Stellung des Monds und ein starker Wind vom See her in ihrem maximalen Wirkungspunkt zusammentreffen. Sozial- und Politikwissenschaftler könnten auf ähnliche Weise die Wahrscheinlichkeit von sozialen Sturmfluten für den Fall abschätzen, daß mehrere Vorgänge, die normalerweise unabhängig voneinander soziale Spannungen erzeugen, auf dem Gipfelpunkt ihrer Wirksamkeit zusammentreffen....
Aus unserer Erörterung über das Wesen der Erkenntnis ergeben sich eindeutige Konsequenzen für die Funktion von Modellen.Modelle erfüllen (mehr oder weniger mangelhaft) vier verschiedene Funktionen: eine organisatorische Funktion, eine heuristische Funktion, eine Funktion der Voraussage und eine Funktion der Messung... (a. a. O. S.44)
Die Zuverlässigkeit unserer Voraussagen hängt in jedem Falle von den vier Elementen des Erkenntnisvorgangs ab, die wir weiter oben aufgezählt haben. Eines dieser Elemente haben wir niemals ganz unter Kontrolle: die tatsächliche Struktur des Vorgangs nämlich, den wir gegenwärtig verstehen und zukünftig voraussagen wollen. Falls in dieser Struktur genügend große Unstetigkeiten auftreten, bleiben womöglich alle unsere Schätzungen und Extrapolationen verfehlt... (a. a. O. S.46)
Schließlich wächst auch die Wirksamkeit unserer Symbole und Symbolsysteme mit unserer Fähigkeit, die uns verfügbare Datenmengen auszuwählen, und zu abstrahieren, zu speichern und wieder verfügbar zu machen, zu analysieren und neu zu ordnen, auf Voraussagen auszudehnen, zur Kommunikation bereitzuhalten, durch operationale Tests zu verifizieren und in unserer Praxis anzuwenden. Jeder Fortschritt in der Wirksamkeit von Symbolen und Symbolsystemen bedeutet deshalb einen grundlegenden Fortschritt in der Technologie des Denkens und in der Entwicklung menschlicher Erkenntnis- und Handlungsmöglichkeiten.
Ein Symbol ist eine Anweisung, sich irgendeines bestimmten Gegenstandes oder Vorganges oder einer bestimmten Menge von Gegenständen oder Vorgänge zu erinnern. Jede Tätigkeit, jeder Vorgang mit der Wirkung eines solchen Befehls hat daher die Wirkung eines Symbols. Wenn wir mehrere Symbole benutzen, um uns mehrere Gegenstände in die Erinnerung zurückzurufen, müssen wir unsere Symbole mit einer Art von Gebrauchsanleitung verbinden. Eine bestimmte Anzahl von Symbolen und die dazugehörige Gebrauchsanweisung bilden zusammen ein Symbolsystem oder Modell... (a. a. O. S.47)

Alles, was sich gegenseitig beeinflussen und für uns von Bedeutung sein kann, muß untereinander (und in geringem Ausmaß auch mit uns selbst) gewisse strukturelle Ähnlichkeiten aufweisen. Nichts spricht von vornherein dagegen, daß alles, was Struktur hat, seine Entsprechung in geeigneten Symbolen finden könnte. Natürlich sind unsere gebräuchlichen Modelle von bestimmten Ereignissen zu primitiv für eine zuverlässige Darstellung der zugrunde liegenden Wahrscheinlichkeitsregeln oder für eine zuverlässige Voraussage von für uns bedeutsamen wahrscheinlichen Ergebnissen...(a. a. O. S.52)
Die Fragen der vergleichenden Politikwissenschaft sind dabei immer mehr zu Fragen hinsichtlich des speziellen oder allgemeinen Funktionierens politischer Systeme in verschiedenen Ländern geworden... (a. a. O. S.53)
Die Auswahl von Modellen
Da es viele Modelle geben kann, die einer bestimmten empirischen Situation hinreichend entsprechen, muß zwischen ihnen ausgewählt werden. Zwei Auswahlkriterien bieten sich zunächst an: Relevanz und Ökonomie der Darstellung... (a. a. O. S.54)
Die Politikwissenschaftler müssen nicht für jeden besonderen Zweck ein Modell entwickeln und dieses wieder gegen ein neues austauschen, sobald sich der Gegenstand ihrer Untersuchung nur geringfügig verschiebt. Vielmehr können sie durchaus nach Modellen streben, die bei der Erforschung der Politik verschiedener Länder und Kulturräume anwendbar sind.

Die Einheit der menschlichen Erkenntnis

… Dieses Buch geht grundsätzlich davon aus, daß der Erkenntnisprozeß eine Einheit bildet — was nicht bedeutet, die menschliche Natur einfacher machen zu wollen als sie ist, sondern vielmehr den Reichtum und das Wunderbare in aller Erkenntnis zu offenbaren. (a. a. O. S.57) Wir haben gesehen, daß der Mensch in Modellen denkt. Seine Sinnesorgane abstrahieren die Ereignisse, mit denen sie in Berührung kommen, und sein Gedächtnis speichert Spuren dieser Ereignisse als verschlüsselte Symbole. Er kann sie nach erlernten Mustern neu zusammenfügen. Unsere Gedanken stellen dabei Symbole dar, die gemäß einer Gebrauchsanleitung zu einander in Beziehung oder Folge gesetzt werden....
Der Benutzer solcher Modelle kann mit ihrer Hilfe seine Denkvorgänge vereinheitlichen und, falls er seine Modell klar in Erinnerung behält, auch wiederholen; sie verleihen seinem Denken die Eigenschaft der Nachvollziehbarkeit, ohne die es keine Vernunft gibt. (a. a. O. S.58,59) Ein weiteres Merkmal der Vernunft, die Triftigkeit, ergibt sich, wenn solche Modelle bei verschiedenen Personen zu identischen Ergebnissen führen. Das ist auch der Fall, wenn die Übereinstimmung mit tatsächlichen Ereignissen gar nicht sehr groß ist... (a. a. O. S.59)

Die Frage der Triftigkeit stellt sich ja auch beim unabhängigen biotelen Gutachtenverfahren, wozu genaue und für die Gutachter verbindliche Begriffsfestlegungen Voraussetzung sind.

Tatsächlich ist Ungleichmäßigkeit die Voraussetzung jeder Erkenntnis, jeder Beobachtung, jeder symbolischen Darstellung, jeder Vorstellung, jeder Verständigung. Dennoch ist dieser Satz weder tautologisch noch trivial. Er besagt, daß alles, was erfahren oder beobachtet werden oder überhaupt auf irgend etwas in dem uns bekannten Universum eine Wechselwirkung ausüben kann, relative Unstetigkeiten, das heißt aber: irgendeine Struktur aufweisen muß. Was Wechselwirkung hat, das hat Struktur. Und was Struktur hat, ist der Erkenntnis zugänglich....
Eine Welt, die ungleichmäßig genug ist, einen Plattwurm zu ernähren, ist vielleicht auch ungleichmäßig genug, um von Menschen erkannt werden zu können... (a. a. O. S.60)


Zweites Kapitel
Einige klassische Denkmodelle (a. a. O. S.61)

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..Die abendländische Wissenschaft und deren Sprößling, die moderne Wissenschaft, erwuchsen (wie man überzeugend nachgewiesen hat) aus der zur Zeit des Hellenismus zustande gekommenen Vermählung der bildhaft anschaulichen klassischen griechischen Wissenschaft mit der Rechenkunst der Babylonier, und aus der immer wieder zustande gekommenen Vereinigung neuer Errungenschaften des bildhaften mit denen des quantifizierenden Denkens, in dem seitdem die Entwicklung der Mathematik und überhaupt aller Wissenschaften vor sich gegangen ist...

Materielle Modelle als Hilfsmittel

Es war bisher nur von formalen Modellen, von Symbolgruppen und Gebrauchsanleitungen, wie sie vor allem in den Köpfen der Menschen aufbewahrt werden. Der Begriff des materiellen Modells ist von Arturo Rosenblueth und Norbert Wiener erörtert worden. Sie definieren ihn als >die Darstellung eines komplexen Systems durch ein System, von dem angenommen wird, daß es einfacher ist und einige Eigenschaften besitzt, die den zu untersuchenden Eigenschaften in dem ursprünglichen komplexen System ähnlich sind<... (a. a. O. S.62)

Was dem klassischen Begriff des >Mechanismus< sein gewaltiges Gewicht in der Ideengeschichte gab, waren nicht die tatsächlichen Eigenschaften von Uhrwerken, nicht bloß die Implikationen der Newtonschen Mechanik, sondern auch die allgemeinen Folgerungen, die sich daraus für Das klassische >Zeitalter der Vernunft< (etwa von 1650 bis 1790) zu ergeben schienen... (a. a. O. S.63)
Die strenge Ordnung der ägyptischen Pyramide, die von einigen Steinen gekrönt und von den vielen untersten Steinen getragen wird, dient seit langem <als Modell für die Idee einer >sozialen Pyramide< oder allgemein einer >Hierarchie< (von Priestern, Offizieren oder auch, wie in der aristotelischen Philosophie, von Ideen, Werten und Zwecken)....

Eine derartige Rangfolge ist im System der Biotelie schwerlich auszumachen. Die Spitze der Pyramide wäre mit dem Hauptziel der dynamischen Stabilität gegeben. Aber die biotelen Aspekte sind derart unterschiedliche Bausteine, dass sie sich schwer einfügen ließen. Höchstens der Aspekt der AUSLESE zum Überlebenstüchtigeren hin als Gesetz der Natur könnte einen Vorrang (oder nur Primat?) vor den anderen Aspekten beanspruchen, weil im die gesamte Evolution zugrunde liegt oder weil diese ohne Auslese seit Charles Darwin nicht mehr gedacht werden kann. Allerdings haben im biotelen Gutachtenverfahren Fachleute in Spezialfragen als die mutmaßlich Kenntnisreicheren vor weniger Sachkundigen den Vorrang; es gibt also insofern eine Art Rangfolge.

Das zweite dieser Modelle ist die Waage. Aus der Verbindung der beiden Waagschalen ergab sich der Begriff des stabilen Gleichgewichts und daraus die Folgerung, daß die Gegenkräfte um so stärker sein müßten, je mehr die wahre Gleichgewichtsstellung gestört sei. (a. a. O. S.64,65) Die Idee der diké, das >Nicht-zu-viel<, der goldenen Mitte....

 

Dieses Modell liegt sicherlich dem Hauptziel der dynamischen Stabilität zugrunde aber auch deren Aspekt der GEGENSEITIGKEIT (Wechselseitigkeit).

 

Aus anderen einfachen technischen Verfahren ergaben sich alsbald Modelle, in denen Gedanken wie Prozeß, Fortschritt und Geschichte in einfachster, elementarster Form ausgedrückt wurden. Ein hervorragendes Modell dieser Art ist der Faden, der als Schicksalsfaden, Gedankenfaden oder Lebensfaden gesponnen wird. Ein Gewebe aus solchen Fäden offensichtlich eine Erweiterung dieses Modells dar, wobei jetzt aber der Gedanke der Wechselwirkung hinzukommt...

Das klassische Modell des Mechanismus … trat... am Ende des Mittelalters in Erscheinung. Ein Mechanismus kann zerlegt und wieder zusammengesetzt werden... (a. a. O. S.65) ...Die Entwicklung des Uhrwerks seit dem dreizehnten Jahrhundert lieferte das klassische Modell eines >Mechanismus< — ein Model, Das auf die Beschreibung der Sternenbahnen angewandt wurde im Newtonschen System; auf die Politik in den Schriften von Machiavelli und Hobbes; auf die Theorien der balance of power und der checs and balances bei Locke, Montesquieu und den Vätern der amerikanischen Verfassung; und auf den menschlichen Körper von Autoren des achtzehnten Jahrhunderts wie LaMettrie, dem Verfasser des Buches L‘homme Machine …
Der klassische Mechanismus beruhte auf der Idee eines Ganzen , das mit der Summe seiner Teile vollkommen identisch ist, das auch im umgekehrten Sinne ablaufen kann und sich stets gleichartig verhält, unabhängig auch von der Reihenfolge, in der Zerlegung und Zusammensetzung vor sich gehen. Es lag ihm also der Gedanke zugrunde, daß die Teile weder durch ihresgleichen noch durch ihr Geschichte spürbar verändert würden....“ (a. a. O. S.66)

Schon aus dem Grund heraus, dass biotele Aspekte gegenseitig zur Gesamtzielfunkton der dynamischen Stabilität abgestimmt werden müssen, scheint die Anwendbarkeit dieses Modells des Mechanismus für die Biotelie zu entfallen; da die gegenseitige Abstimmung unter den biotelen Führungsbestandteilen, ihren Aspekten, aber recht träge und langfristig erfolgt, wird man doch zur — allerdings recht vorsichtigen — Verwendung dieser Modellvorstellung verführt.


Vorstellungen von irreversiblem Wandel, von Wachstum, von Evolution, von Neuerung und Finalität hatten darin keinen Raum. Der klassische Begriff des Mechanismus war eine metaphysische Idee. Niemals ist etwas gefunden worden, was seine Bedingungen genau erfüllt hätte...
Diesem Modell entsprach eine bezeichnende analytische Methode: die Suche nach bestimmten, nämlich einfachen und unveränderlichen Elementen., die sich nach einfachen und unveränderlichen Gesetzen verhalten. Wissenschaftler und Philosophen entdeckten solche einfachen Elemente wie Atome, Teilchen und Wellen in der Physik; wie Moleküle und Elemente in der Chemie; wie den homo oeconomicus in der Wirtschaftswissenschaft; und den >Schmerz- oder Lustgewinn< in der Ethik und Philosophie eines Jeremy Bentham, wovon noch ein leiser Nachhall in den freilich viel differenzierteren Formeln über Faktoren der >Begünstigung< und >Benachteiligung< (indulgences and deprivations) bei Harold Lasswell und Abraham Kaplan zu spüren ist. (a. a. O S.67)
… Einen solchen Mechanismus begegnen wir auch in den Sozialwissenschaften jener Epoche. Fasziniert gibt sich dieses Zeitalter der Entdeckung von Ländern, Naturgesetzen und Verhaltensregeln hin. Die Natur wird erobert, indem man ihr gehorcht, meint man mit Francis Bacon, aber man erwartet nicht, daß sich die Natur dabei auch verändert. So ändern sich für Machiavelli weder die Charaktere der Fürsten noch die Gesetze, nach denen sich ihr kluges Verhalten richten muß; sie erscheinen dem Verfasser vom Il Principe vielmehr ebenso unwandelbar wie die politische Apathie der Volksmassen. Ein Jahrhundert und eine Revolution später läßt Thomas Hobbes diese Prämisse der Apathie fallen. In der Welt des Leviathan sind alle Menschen auf höchst intensive und beklagenswerte Weise tätig, nämlich wie Wölfe untereinander. (a. a. O. S.68,69) Nun gilt diese rasende Aktivität als unveränderlich: sobald der staatliche Zwang durchbrochen ist, besteht als Naturzustand ein >Krieg aller gegen alle<.
[Solche Unveränderlichkeit der Sterne und der Menschen galt] vor der Einführung des Evolutionsprinzips durch Kant... (und später durch Laplace)... Kant sah... den Weg... Sein berühmter Entwurf einer Allgemeinen Geschichte (1784) ging von den Wechselbeziehungen und Wechselwirkungen zwischen den Menschen und ihren Institutionen aus und endete mit einer Stufenfolge historischer Epochen, die jeweils durch verschiedene Verhaltensmuster gekennzeichnet waren und in konsequenten Schritten zu einer künftigen Weltregierung von Wissenschaftlern hinführen mußten...


Mit der globalen Einführung bioteler Kontrollkörperbüros wäre die Herrschaft der Wissenschaftler, so weit sie wünschenswert und erträglich ist, Wirklichkeit geworden. Denn die Tätigkeit unabhängiger Fachgutachter wäre erforderlich, um biotele Gesetze als solche der direkten Demokratie (nach Abstimmung durch die Betroffenen) auf den Weg zu bringen. Wissenschaftler herrschten damit nicht nach ihrem Willen, Gutdünken oder gar Eigeninteresse, sondern durch Anwendung ihres Wissens innerhalb eines Steuerungsvorganges, welche nur durch eine aktiv gewordene Mehrheit der vom einzelnen biotelen Gesetzesvorschlag Betroffenen abgebrochen werden könnte.
Damit wäre das Gemeinwohl vernunft- und verstandesmäßig in die Hände (oder Köpfe) der Wissenschaftler und Intelligenteren —auch als die einzig erfolgreichen Gesetzesantragsteller —gelegt, gefühlsmäßig aber stärker in den Schoß der aufgeklärten Volksmassen, welche ja die Folgen ihres Abstimmungsverhaltens (mit)zutragen hätten. Darin bestünde auch die biotele Reform der Demokratie, in welcher lebenstragende Verfassung und deren technische Durchführungsgarantie durch die kybernetische Verfahrensweise voneinander untrennbar sind.

 

Das klassische Modell des Organismus


Das Versagen der Idee des Mechanismus trat am deutlichsten in den Sozialwissenschaften und in der Biologie zutage...
[Ein Organismus] hat eine bedeutsame Vergangenheit und eine Geschichte (das gibt es im klassischen Mechanismus nicht!), ist aber doch nur zum Teil historisch. Man glaubte nämlich, daß ihm Geburt, Reifezustand und Tod in einem eigentümlichen >organischen Gesetz< vorgezeichnet seien, welches nicht nach klar erkennbaren mechanischen >Ursachen< analysiert werden könne. Er hatte so etwas wie einen >Zweck<, nämlich seine Reife beziehungsweise Fortpflanzungsfunktion, auf die alle früheren Entwicklungsstufen anscheinend hinzielten, worauf dann im allgemeinen eine Periode der Fortdauer oder Wiederholung und früher oder später der Zerfall folgten. (a. a. O. S. 70,71)
Es besteht offensichtlich eine Verwandtschaft zwischen dieser >Reife< und dem aristotelischen telos. Doch konnten weder Aristoteles noch die >Organiker< oder >Vitalisten< des neunzehnten Jahrhunderts eine wirkliche Analyse des Vorgangs liefern, der den >reifen< und keinen anderen Zustand herbeiführt, oder des Vorgangs, der nach der Reifezeit jede weitere Veränderung in eine Wiederholung oder Degeneration auslaufen läßt; und schon gar nicht konnten sie im einzelnen einen Vorgang denken, in dem ein solcher Kreislauf mit seiner angeblich wesenseigenen Zweckbestimmung eine grundsätzlichen Richtungsänderung erfahren könnte.... (a. a. O. S.71)

 

Auch der Kreislauf ist ein uraltes Modell, wie es durch das Erleben der Tages- und Jahreszeiten sich bereits den Menschen der Frühzeit anbot. Heute ist ja das Recycling von Rohstoffen ein moderneres Beispiel.

Als Richtungsänderung fällt mir der Wechsel der Schmetterlingsraupe über Verpuppung in den Falter ein.
„Schrittweiser Ablauf in erkennbarer Richtung“ als „historische Methode“ spielten bei den Sozialwissenschaften eine Rolle; ihr Beginn liege im Christentum, wobei Vinzensius von Lerinum 434 n. Chr. Bereits >echten< von >falschem< Fortschritt unterschied. Kant, Hegel und Marx sind zu nennen, letzterer mit dem Modell des Klassenkampfes. (a. a. O. S.76)

 

Organizistische Modelle haben sich für die Biologie, die psychologische Pädagogik und sogar für die Wirtschaftswissenschaft als nützlich erwiesen, indem sie auf die Probleme der Interdependenz und Wachstum aufmerksam machten. Dieser nützliche Beitrag hielt sich jedoch in Grenzen... (a. a. O. S.72)
Mechanistische Theorien, die mit >Gewohnheiten< argumentierten, konnten wiederum schwerlich erklären, warum das gemeinsame Leben unter einer Dynastie oder Regierung wohl die Gewohnheit politischen Zusammenhalts zwischen Engländern und Schotten schaffen konnte, aber nicht zwischen Engländern und Iren, oder zwischen Tschechen und Deutschen in Böhmen oder zwischen Franzosen und Arabern in Algerien.
In der politischen Ideengeschichte findet sich das klassische Modell des Organismus in den Schriften von Edmund Burke, Adam Müller, Friedrich List, Oswald Spengler und anderen....(a. a. O. S.73)
>Reife< ist kein Begriff, der einem helfen könnte...
Obwohl das Wort >Unreife< im Hinblick auf politische Situationen plausibel ist, in denen es den Teilnehmern offensichtlich an Erfahrung und Tradition fehlt, so läßt sich der gleiche Tatbestand doch auch als >Mangel an sachdienlicher Tradition< oder als >fehlende Grundlage einer einschlägigen Erfahrung< umschreiben, wodurch irreführende organizistische Nebentöne vermieden wären. (a. a. O. S.74)


Der augenfällig nahe Eintritt der Prophezeiung >Untergang des Abendlandes< (Oswald Spengler) wird von den „68-ern“, die ihn herbeiführen helfen und unterstützen, als eine >natürliche Entwicklung< hingenommen, ohne Prüfung, ob es nicht auch eine Umkehr zu neuer Lebendigkeit geben könne.

Einige dieser historischen Theorien enthielten schon Gedanken über unwiderruflichen Wandel, Evolution durch Konflikte sowie fundamentale Beziehungen zwischen Konflikt und Harmonie. Angefangen von Heraklits Krieg als dem >Vater aller Dinge< über Kants Idee zu einer allgemeinen Geschichte und Burkes Ideal vom kontinuierlichen Wachstum der Kultur bis hin zu Hegels Idee eines >dialektischen< Fortschreitens von Gegensatz zu Gegensatz, und weiter zur zielgerichteten >Dauer< Bergsons, zur >Vorwärtgerichteten Instabilität<, die J. S. Smuts in Rennpferden und Kulturepochen erkennen wollte, und bis zum Begriff der >Herausforderung und Erwiderung< (challence and response) bei A. J. Toynbee — immer wieder suchte man in der Geschichte nach Modellen für den Prozeß des Wachstums, der -Evolution, des Auftauchens von Neuerungen und der Schöpfung.
Den faszinierenden Parallelen und anregenden Einsichten, die man dabei fand, fehlte jedoch die innere Struktur...
Kants >ungesellige Geselligkeit der Menschen< ist, ebenso wie Hegels >Dialektik<, ein qualitativer Begriff, hinter dem recht wenig an detaillierter Struktur erkennbar wird. Die >großen Persönlichkeiten< eines Carlyle oder die >schöpferischen Minderheiten< eines Toynbee sind nicht näher analysierte Träger einer Schöpferkraft, die selbst keine beschreib- und erkennbaren Strukturelemente aufweist.
Auch der Rückgriff auf die Biologie hat daran nichts ändern können. Ein schöpferischer Vorgang bleibt auch dann ohne Umriß und Struktur, wenn man ihn als Emanation eines menschlichen Lebewesens mit der Gattungsbezeichnung >Genie< oder einer Gruppe solcher Lebewesen mit der Gattungsbezeichnung >höherstehende Rasse< deutet. Unverstandenen Organisationsmustern ist mit unverstandener Eiweißchemie nicht beizukommen... (a. a. O. S.77)

Aber weiter forschen hinsichtlich derartiger „Eiweißchemie“ und deren Zusammenhang mit Begabungen sollte man doch, meine ich.
Streifen wir nur noch die Gedanken Deutschs zur politischen Stabilität Deutschlands und Österreichs und der Bedeutung der Annexion auch des Sudetenlandes 1938 für den deutschen >Lebensraum< im Hinblick auf dessen negative Agrarbilanz, die entsprechende Exportabhängigkeit und Arbeitslosigkeit ausgelöst habe. Letztere sei durch militärische Aufrüstung behoben worden und habe zum Zweiten Weltkrieg beigetragen. (a. a. O. S.84)

Herbert A. ..Simon unterscheidet zwischen >Modellen der Optimierung<, bei denen es sich darum handelt, bei hohem Informationsniveau aus einer Reihe von Alternativen die beste (das >Optimum<) auszuwählen, und >Modellen des Anpassungsverhaltens<, die weniger anspruchsvoll, jedoch realistischer sind und darin bestehen, daß bei einem viel niedrigeren Informationsstand von zwei erkennbaren Alternativen jeweils die einleuchtendere zu wählen ist.... (a. a. O.S.85)


K. W. Deutsch hält Mathematiker, weil analytisch zu denken geschult, für ebenso wenig geeignet zur Modellaufstellung als Sozialwissenschaftler als mehr qualitativ Denkende und sieht einen Ausweg in der Teamarbeit. (a. a. O. S.86)
Zum biotelen Gutachtenprozess werden die Erkenntnisse vieler Fachleute herangezogen, aber zwei oder wenige Persönlichkeiten von etwas gehobener Allgemeinbildung entscheiden, ob ein bioteler Gesetzesantrag weiterkommt.
Keines der bis jetzt erwähnten Modelle vermittelt — jedenfalls ausdrücklich und a priori — einen klaren Begriff von zielstrebigen Verhaltensmustern oder von homöostatischen (d. h. die automatische Erhaltung bestimmter Zustände oder Funktionen bewirkenden) Vorgängen. Eine Analyse von sozialen Prozessen und Institutionen hat Max Weber mit seinen Idealtypen versucht.
Nach Talcott Parson versteht Weber zweierlei unter einem >Idealtyp<. Einmal meint er damit ein >herausgehobenes< und einseitig >übersteigertes< Abbild sozialer Institutionen und Handlungsweisen,die einer bestimmten geographischen Region oder historischen Epoche tatsächlich das Gepräge gegeben haben wie beispielsweise >der moderne rationale Kapitalismus< oder >das indische Kastensystem<. Zum anderen meint Weber mit einem Idealtyp ein herausgehobenes und überhöhtes Abbild einer prägenden Ideenlehre, beispielsweise >die calvinistische Theologie< oder die >brahmanische Philosophie des Karma und der Seelenwanderung<.
Beim >Idealtyp< in beiden Spielarten handelt es sich im wesentlichen um ein Modell, das der Hervorhebung besonderer struktureller Aspekte aus einer Fülle von empirischen Daten dient. (a. a. O. S.89,90) Es dient auch zur Voraussage bestimmter, regelmäßig wiederkehrender Erscheinungen für den räumlichen und zeitlichen Bereich, in dem eine Ähnlichkeit zwischen einer tatsächlich bestehenden Situation und einem bestimmten >Idealtyp< festzustellen war. Es dient weiterhin der Unterscheidung zwischen einer >wertrationalen<, das heißt bewußt auf ein Ziel zustrebenden, und einer >zweckrationalen<, das heißt objektiv zu einem Ziel hinführenden Orientierung des Handelns. Und es dient schließlich dazu, diese beiden zielgerichteten und >rationalen< Verhaltensweisen von den >irrationalen< Auswirkungen innerer Spannungen und Emotionen zu unterscheiden... (a. a. O. S.90)
Im Grunde beschrieben Max Webers >Idealtypen< jeweils die Art und Weise, nach der die Menschen bestimmte persönliche oder soziale Ziele zu erreichen suchen. Sie sehen also eine entsprechende Zielsetzung vor, beruhen aber meistenteils nur auf einer vagen empirischen Kenntnis der Vorgänge, in denen solche Ziele gesetzt und verfolgt werden, und der allgemeinen Bedingungen, unter denen sich Systeme zielstrebig verhalten.
Die Methode der struktur-funktionalistischen Analyse... [wurde] neuerdings von den Soziologen Talcott Parson und Robert K. Merton entwickelt...
Unter >Sozialstruktur< versteht diese Schule einen Verband von sozialen Gruppen, die gegeneinander abgegrenzt sind durch verhältnismäßig dauerhafte oder nur langsam veränderliche und mehr oder weniger klar beobachtbare Unterschiede und Unstetigkeiten. Unter >Funktion< versteht diese analytische Lehre manchmal das Streben nach einem bestimmten Wert oder Ziel, häufiger aber den Beitrag, der von einer gegebenen Einheit oder von einem gegebenen Vorgang zur Erhaltung des Organismus oder zur Erhaltung des strukturellen Zusammenhalts einer Gesellschaft geleistet wird... (a. a. O. S.91,92)
Obwohl ursprünglich dem Bereich der biologischen und medizinischen Forschung entliehen, ist diese Methode in den Sozialwissenschaften ihren eigenen Weg gegangen... (a. a. O. S.92) Was d..en Übergang zur quantitativen Erkenntnis betrifft, so ist die >struktur-funktionalistische< Analyse in der Politik- und Sozialwissenschaft bis heute weit hinter ihrem Gegenstück in der Medizin zurückgeblieben. In anderer Beziehung hat sich jedoch der Struktur-Funktionalismus in den Sozialwissenschaften schon viel besser bewährt. Er bleibt nämlich nicht... auf die engen und starren funktionalen Spezialbedingungen der klassischen Organismus-Modelle beschränkt, sondern zeigte sich aufgeschlossen für Kombinationsmöglichkeiten, die in den meisten sozialen Systemen in viel größerer Vielfalt vorhanden sind...
In mehrfacher Hinsicht läßt deshalb die struktur-funktionalistische Methode größeren Spielraum als Max Webers Methode der >Idealtypen<. Die struktur-funktionalistische Methode kennt nämlich eine funktionale Gleichwertigkeit, durch die ein und dieselbe Funktion von verschiedenen Kombinationen verschiedener Struktureinheiten erfüllt werden kann... (a. a. O. S.93)
Daraus ergeben sich zweierlei Schwierigkeiten. Bei der analytischen Methode der >Idealtypen< sind wir in Gefahr, unseren Blick allzu sehr zu verengen: es kann uns dann widerfahren, daß wir in der sozialen Situation, mit der wir uns befassen, eine mögliche und wahrscheinliche Alternative übersehen, auf die unser >Idealtyp< nicht paßt...
Es dient auch zur Voraussage bestimmter, regelmäßig wiederkehrender Erscheinungen für den räumlichen und zeitlichen Bereich, in dem eine Ähnlichkeit zwischen einer tatsächlich bestehenden Situation und einem bestimmten >Idealtyp< festzustellen war. Es dient weiterhin der Unterscheidung zwischen einer >wertrationalen<, das heißt bewußt auf ein Ziel zustrebenden, und einer >zweckrationalen<, das heißt objektiv zu einem Ziel hinführenden Orientierung des Handelns.
Und es dient schließlich dazu, diese beiden zielgerichteten und >rationalen< Verhaltensweisen von den >irrationalen< Auswirkungen innerer Spannungen und Emotionen zu unterscheiden... (a. a. O. S.90)
Im Grunde beschrieben Max Webers >Idealtypen<jeweils die Art und Weise, nach der die Menschen bestimmte persönliche oder soziale Ziele zu erreichen suchen. Sie sehen also eine entsprechende Zielsetzung vor, beruhen aber meistenteils nur auf einer vagen empirischen Kenntnis der Vorgänge, in denen solche Ziele gesetzt und verfolgt werden, und der allgemeinen Bedingungen, unter denen sich Systeme zielstrebig verhalten.
Die Methode der struktur-funktionalistischen Analyse... neuerdings von den Soziologen Talcott Parson und Robert K. Merton entwickelt...
Unter >Sozialstruktur< versteht diese Schule einen Verband von sozialen Gruppen, die gegeneinander abgegrenzt sind durch verhältnismäßig dauerhafte oder nur langsam veränderliche und mehr oder weniger klar beobachtbare Unterschiede und Unstetigkeiten. Unter >Funktion< versteht diese analytische Lehre manchmal das Streben nach einem bestimmten Wert oder Ziel, häufiger aber den Beitrag, der von einer gegebenen Einheit oder von einem gegebenen Vorgang zur Erhaltung des Organismus oder zur Erhaltung des strukturellen Zusammenhalts einer Gesellschaft geleistet wird... (a. a. O. S.91,92) Die struktur-funktionale Analyse in ihrer ursprünglichen Form scheint zwei schwache Punkte zu haben: einmal setzt sie soziale Ziele und
Zwecke voraus, ohne klar angeben zu können, wie diese festgesetzt werden; zum anderen verlangt sie von dem, der sie anwenden will, eine Wahl zwischen einer Vielzahl von Kombinationsmöglichkeiten,ohne klar angeben zu können, welche Kriterien bei der Suche und Auswahl zu beachten sind, wenn man von intuitivem Interesse und empirischer Urteilsfähigkeit absieht....
Wenn die Zahl der Kombinationsmöglichkeiten groß ist, und das ist fast immer der Fall, kann uns allerdings die normale analytische Methode kaum bei der Entscheidung darüber helfen, welche Möglichkeiten vor allen anderen eine Untersuchung verdienen. (a. a. O. S.94,95) Zu diesem Zweck müssen [wir] in die Theorie Auswahlkriterien eingeführt werden, und es ist eine Stärke der struktur-funktionalistischen Methode, daß sie die Einführung solcher Kriterien erlaubt... (a. a. O. S.95)

 

Viertes Kapitel
Die Spieltheorie

Einen neuen Weg zur Untersuchung politischer und sozialer Entscheidungen und darüber hinaus zur Untersuchung von Strategien und Entscheidungen über ganzen Entscheidungskategorien haben John von Neumann und Oskar Morgenstern mit ihrer Arbeit über die Spieltheorie aufgezeigt. Die Methode … gründet sich empirisch auf die Ähnlichkeit zwischen gewissen gesellschaftlichen Spielen und gewissen wiederkehrenden sozialen Situationen... (a. a. O. S.96)
Die Methode der Spieltheorie besteht zunächst in einer Analyse von prototypisch vereinfachten Spielen wie Schach und Poker; sodann in der möglichst genaueren Berechnung der Gewinnchancen beim jeweiligen Spielstand; schließlich in einer Klassifizierung der Bedingungen, die geben sein müssen, ehe vorteilhafte Koalitionen eingegangen oder die Erfolgschancen strategischer Alternativlösungen bewertet werden können. Entscheidungen in Spielen dieser Art müssen im allgemeinen bei unvollständiger Information getroffen werden... (a. a. O. S.97)
Wenn der von Machiavelli und seinen Schülern entwickelte Begriff des Gleichgewichts der Macht eine Berechtigung in der Politikwissenschaft hat, dann kann man auf die Spieltheorie nicht verzichten... (a. a. O. S.98)

Lineare Rangordnung und punktuelle Souveränität

Die Spieltheorie betont, daß eine lineare Rangordnung (transitivity) in einem Spiel oder Entscheidungssystem nur dann besteht, wenn sie ausdrücklich festgelegt worden ist. In einem Kartenspiel, in dem die Dame einen höheren Wert als der Bube und der König einen höheren Wert als die Dame hat, muß zugleich auch festgelegt werden, daß der König einen höheren Wert als der Bube haben soll... kreisförmig Herrschaftsmuster konnten Biologen in der Pickordnung auf dem Hühnerhof beobachten; eine Parallele läßt sich in der Beziehung zwischen dem englischen Parlament und dem Premierminister erkennen, wo das Unterhaus den Premierminister stürzen, aber dieser das Unterhaus auflösen kann... Tatsächlich dürfte es sich lohnen, einmal zu untersuchen, ob ein autonomes, also ein sich selbst steuerndes und regelndes Entscheidungssystem überhaupt eine rein lineare Rangordnung haben kann. (a. a. O. S.99)

Die begrenzte Vielfalt stabiler Lösungen

...Es mag in vielen Spielen mehr als einen Weg geben, um zu gewinnen oder am besten abzuschneiden, aber es gibt unendlich viel mehr Wege, um zu verlieren oder schlecht abzuschneiden. Die Spieltheorie verwirft folglich jede indifferent Haltung; denn grundsätzlich ist eine Strategie durchaus nicht ebenso gut wie eine andere. Während sie aber der Indifferenz entgegenwirkt und zugleich verdeutlicht, daß die Zahl siegreicher Strategien oder stabiler Lösungen sehr klein sein wird, enthält die Spieltheorie doch auch ein Element der Aufgeschlossenheit und Toleranz, indem sie beweist, daß die kleine Zahl der >besten< Lösungsmöglichkeiten immerhin größer als eins sein kann. (a. a. O. S.100,101)

Objektive und subjektive Strategien

… Die Identifizierung der objektiv besten Strategie ermöglicht es, unpersönliche Wahrscheinlichkeitsfaktoren und persönliche Präferenzen auseinanderzuhalten und die Fehler jedes Spielers in ihrem Ausmaß und in ihrer Tendenz, das heißt als Abweichung von der theoretisch besten Strategie zu bestimmen... (a. a. O. S.101)

 

Statistische Voraussetzungen der Spieltheorie

 

Im allgemeinen beruht die heutige Spieltheorie auf der Annahme, daß in den Funktionsmerkmalen der Elemente, aus denen sich das Spiel zusammensetzt, keine Veränderung erfolgt, solange das Spiel andauert...
Genauso wenig wie bei den Funktionsmerkmalen der einzelnen Elemente rechnet die Spieltheorie im allgemeinen mit einer Veränderung der Spielregeln. Diese doppelte Einschränkung dürfte die Spieltheorie zur Beschreibung von Lernprozessen weitgehend untauglich machen... (a. a. O. S.102)
Mit anderen Worten, die herkömmlichen Spiele wie auch die Spieltheorie haben sich bisher eher für Probleme geeignet erwiesen, bei denen es um die Verteilung verfügbarer Mittel geht, während das Problem der Erzeugung neuer Hilfsmittel aus beschränkten Anfangsmitteln weitgehend vernachlässigt worden ist. Wachstum, Neuerung und Innovation sind deshalb Probleme, mit denen die Spieltheorie bisher nicht fertig geworden ist...
Eine interessante Weiterentwicklung der Spieltheorie in die Richtung einer Untersuchungsmethode für dynamische Prozesse stellen die Spielserien dar. In einer solchen Serie hängt der Charakter eines jeden Spiels jeweils vom Ausgang des vorhergegangenen Spiels ab.
(a. a. O.S.103) Entsprechend könnte man auch jeweils die Spielregeln ändern, weil jede nennenswerte Änderung der Spielregeln den folgenden Teil des Spiels eigentlich zu einem neuen Spiel macht... (a. a. O. S.103,104)


Werte in der Spieltheorie und in der Politik


Die Anwendung der Spieltheorie auf umfassende politische oder militärische Probleme muß deshalb in Frage gestellt werden, weil bei der Erwägung solcher Probleme sich Wertfragen und Sachentscheidungen vermengen...
Fast jede Zivilisation, fast jedes politische System unterstellt stillschweigend, daß die eigenen Wertvorstellungen mit dem eigenen Überleben jetzt und in Zukunft vereinbar sind; aber die Geschichte lehrt, wie oft man sich in dieser Frage schon geirrt hat... (a. a. O. S.105)
Gegenüber der Anwendung der Spieltheorie auf politische und militärische Probleme muß deshalb ein sehr wichtiger Vorbehalt geltend gemacht werden: da die Wahrscheinlichkeit und Tragweite des Irrtums so groß ist, sollte im Zweifelsfall immer nur diejenige Lösung akzeptiert werden, die den größten Zeitgewinn und die höchste Schonung von Menschenleben verspricht — im Einklang mit der von Edmund Burke aufgestellten Regel, wonach der Politiker nirgends so sparsam sein soll wie in der Erzeugung des Bösen... (a. a. O. S.106)
Die Minimax-Strategie geht von der Voraussetzung aus, daß solche neuen Gedanken [für eine Theorie der Offensive] jederzeit gefunden werden können. Dies ist nur eine andere Form jener Voraussetzung, daß jede für jedes Spiel relevante Information allen Spielern unbeschränkt und unverzüglich zur Verfügung steht...

K. W. Deutsch nimmt dann auf alte russische Schachbücher Bezug, die dem Spieler raten,nicht eine Strategie der >stärksten Position< zu verfolgen“ und den Gegner mit einem plötzlichen Strategiewechsel zu verwirren. (a. a. O. S.107) So hätten die Sowjets mit der Berliner Blockade 1948 die Aufmerksamkeit der Amerikaner vom Sieg der Kommunisten in China abgelenkt und 1950 durch den Koreakrieg verhindert, daß die Konsolidierung westlicher Positionen andernorts entsprechend ins Stocken geriet“. (a. a. O. S.108)
Es gehe darum, die materiellen und geistigen Kapazitäten des Gegners zu überfordern. (a. a. O. S.110)

 

 

Abschreckungsbeispiele und das Versagen der klassischen Spieltheorie


Die klassische Spieltheorie eignet sich bestens zur Analyse von >Nullsummenspielen<, in denen der Gewinn für einen oder mehrere Spieler dem Verlust für einen oder mehrere Rivalen gleich ist.... (a. a. O. S.113)
Ein präzis durchdachter Ansatz müßte ein solches Zwei-Personen-Spiel als ein Spiel mit >gemischten Interessen<begreifen, weil beide Länder nicht nur gegensätzliche, sondern auch wichtige gemeinsame Interessen haben...
Drohungen sind nur sinnvoll, meint... Thomas C... Schelling, wenn sie zwischen Personen oder Ländern ausgetauscht werden, die zugleich wichtige gemeinsame Interessen haben. Ein gutbrauchbares mathematisches Modell solcher Situationen sind die >Spiele mit gemischten Interessen<, nicht aber die >Nullsummenspiele<, die mit reiner Feindseligkeit und vollkommen gegensätzlichen Interessen rechnen..
Das logische Gegenstück der Nullsummenspiele sind die reinen Koordinationsspiele, in denen die Spieler vollkommen gleichlautende Interessen haben, jedoch die Aufgabe bewältigen müssen, ihre Züge bei unvollständiger Information , unter Zeitdruck oder ähnlichen erschwerten Bedingungen zu koordinieren. (a. a. O. S.114,115) Wenn also die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion ein vollkommen identisches Interesse daran hätten, die Ausrüstung dritter Länder mit Kernwaffen zu verhindern...

Die Wirksamkeit von Drohungen ist nach Schelling proportional zu ihrer Intensität und Glaubwürdigkeit...

Aber es sollten auch mit „Borniertheit, Leichtsinn, mangelnde][r Kontaktfähigkeit“ (a. a. O. S.115), “Trotz“ (a. a. O. S.118) und andere Beweggründe in Rechnung gestellt werden.


Zweiter Teil
Kybernetik — ein neues Modellsystem der Kommunikation und Steuerung  (a. a. O. S.123)


...Ein grundlegender Wandel hat sich seit 1942 allmählich vollzogen. Sein Ausgangspunkt lag in der neuen Entwicklung der Nachrichtentechnik, die es in zunehmenden Maße mit sich selbst überwachenden, selbst regulierenden und selbst steuernden Vorgängen zu tun hatte. Indem man Apparate herstellte, welche die Funktionen der Kommunikation, Organisation und Steuerung übernehmen konnten, näherte man sich zugleich dem Verständnis dieser Funktionen selbst... (a. a. O. S.125)

Kybernetik ist die systematische wissenschaftliche Beschäftigung mit Kommunikations- und Steuerungsvorgängen in Organisationen aller Art. Im Sinne J. B. Conants handelt es sich um ein Bezugssystem >im großen Maßstab<. Die Kybernetik bezeichnet im wesentlichen eine Schwerpunktverlagerung unseres Interesses, das nicht mehr so sehr den Antrieben als der Steuerung gilt, nicht so sehr den Instinkten als den Entscheidungs-, Regulierungs- und Kontrollsystemen einschließlich der nichtzyklischen Aspekte solcher Systeme. (a. a. O. S. 126,127) Die Reichweite einer solchen Interessenverschiebung läßt sich vergleichen mit der Einführung der quantitativen Chemie durch Lavoisier oder mit Darwins Begriff der Evolution.... Der grundsätzliche Ansatzpunkt der Kybernetik und seine Bedeutung für die Sozialwissenschaft ist von Norbert Wiener klar dargelegt worden...

Mit anderen Worten, die Kybernetik geht von der Annahme aus, daß alle Organisationen sich in gewissen grundsätzlichen Merkmalen gleichen und durch Kommunikation zusammengehalten werden.... (a. a. O. S.127)
Durch Kommunikation, das heißt durch die Fähigkeit, Nachrichten zu übermitteln und auf sie zu reagieren, entstehen Organisationen; diese Feststellung trifft anscheinend gleichermaßen auf die Organisation der lebenden Zellen im menschlichen Körper wie auf die Organisation der Einzelteile in einer elektronischen Rechenmaschine wie auch auf die Organisation denkender menschlicher Wesen in einer sozialen Gruppe zu. (vgl. Wiener, Cybernetics....) (a. a. O. S.128)

 

Die biotelen Aspekte des AUSTAUSCHS besonders aber des VERGLEICHENS werden damit angesprochen, zumal letzter, das es sich ja um Nachrichten handelt, die verglichen werden sollen.


Im Verlaufe derselben Jahrzehnte fand auch der Begriff der Homöostase Verbreitung, zunächst durch die Arbeiten von Claude Bernard, später durch die Physiologen Walter B. Cannon und Arturo Rosenblueth... (a. a. O. S.129)

Die von der Kybernetik gelieferten Analogien zwischen Kommunikationskanälen und Steuerungsprozessen in Maschinen, Nervensystemen und menschlichen Gesellschaften müssen zu neuen Beobachtungen, Experimenten und Voraussagen führen, die anhand der Tatsachen bestätigt oder widerlegt werden können... (a. a. O. S.131)

Die Energietechnik überträgt elektrische Energiemengen, die Kommunikations- oder Nachrichtentechnik überträgt Informationen. Sie überträgt nicht Ereignisse an sich, sondern das Strukturmuster einer Beziehung zwischen Ereignissen... (a. a. O. S.133)

Erinnern und Erkennen
...1. wird die aufgenommene Information zu geeigneten Symbolen abstrahiert und verschlüsselt (>Kodiert<);


2. werden diese Symbole gespeichert, und zwar mit Hilfe von mehr oder weniger dauerhaften Zustandsänderungen in geeigneten materiellen Vorrichtungen...

3. wird aus dieser Information ein Teil abgespalten;

4. werden einige der abgespaltenen Einzelheiten zusammen mit größeren Informationsmengen aus dem Gedächtnis in die Erinnerung >zurückgerufen<;

5. werden erinnerte Einzelheiten teilweise zu neuen Mustern zusammengefügt...

6. erfolgt eine erneute Abstraktion oder Verschlüsselung der umgeordneten Einzelheiten, wobei das neue Strukturmuster erhalten bliebt... (a. a. O. S.138)

7. wird eine neue Informationseinheit entweder zur Speicherung wieder dem Gedächtnis zur Speicherung überwiesen oder zur praktischen Anwendung in Tätigkeit umgesetzt. Die Anwendung einer Neuerung im Verhalten können wir auch als Initiative bezeichnen...


Zur operationalen Begriffsbestimmung von Quantität und Qualität

...Autoritäre Philosophen und Staatstheoretiker von Plato und Aristoteles bis zu Oswald Spengler, Otto Strasser und Ernst Jünger sind mit qualitativen Urteilen, den Maßstäben des guten Geschmacks und der ästhetischen Maxime des >Alles oder Nichts< gegen die Rationalität oder gegen die Demokratie zu Felde gezogen. Nur die rohen und primitiven Objekte des sozialen Lebens, so etwa lautet das Argument, seien der Zählung und Messung zugänglich, während die wirklich tiefen und wesentlichen Dinge sich der Quantifizierung und der ins einzelne gehenden Analyse entzögen. In ihrer unwägbaren und unvergleichlichen Einzigartigkeit folgen sie ihren eigenen Gesetzen; entsprechendes gilt für die naturgewollte Überlegenheit privilegierter Persönlichkeiten, Klassen oder Rassen unter den Menschen.... (a. a. O. S.139)
In jedem dieser Fälle ergab sich, daß der entscheidende Schritt zum Erkennen der Qualität eines Gegenstandes darin besteht, eine strukturelle Übereinstimmung zwischen einem Teil des erkennenden Systems und dem zu erkennenden System herzustellen und diese Übereinstimmung dann einem kritischen Prozeß zu unterwerfen, also einem physischen Vorgang, dessen Ergebnis vom Ausmaß eben dieser Übereinstimmung abhängt (Peter B. Neiman). Qualität wird also erkannt, wenn und sofern sich zwei gegebene Strukturen entsprechen. . Der entscheidende Schritt besteht im Nachweis einer solchen Entsprechung.
Quantität wäre demnach ein viel komplizierterer Begriff als Qualität. Quantität kann erst gemessen werden, nachdem
eine qualitative Entsprechung eingetreten oder nachgewiesen ist. Aus diesem Vergleich ergibt sich dann ein >Mehr< oder >Weniger<, und aus dem Vergleich mit einem Zahlensystem ergibt sich ein Maßstab, an dem die Anzahl der vollständigen Entsprechungen abgelesen werden kann. (a. a. O. S.140)
Qualität beruht demnach auf einer einfachen, Quantität auf einer doppelten Entsprechung...


Rückkopplung und Gleichgewicht

Als einen weiteren Begriff, der seit den vierziger Jahren an Bedeutung ständig zugenommen hat, müssen wir den Begriff der >Rückkopplung< (feedback) erwähnen. Das Strukturprinzip der Rückkopplung ist allen selbstregulierenden Kommunikationssystemen gemeinsam: elektronischen Steuerungsgeräten, Nervensystemen, sozialen Organisationen. .. >Unter Ausgabe (output) wird jede Veränderung verstanden, die der Gegenstand in seiner Umgebung bewirkt. Umgekehrt wird unter Eingabe (input) jedes Ereignis verstanden, das von außen her irgend eine Veränderung des Gegenstandes bewirkt.< (Rosenblueth-Wiener-Bigelow) (a. a. O. S.141,142)

Anders ausgedrückt bezeichnet Rückkopplung (man spricht auch vom Prinzip eines >Servomechanismus< oder >Regelkreises>) ein Kommunikationsnetzwerk, das auf eine Informationseingabe mit einer Tätigkeit reagiert, deren Ergebnis als Teil einer neuen Information auf das weitere Verhalten des Systems selbst zurückwirkt... (a. a. O. S. 142)


Lernprozeß und Zweckbestimmung

Auch der einfache Regelkreis zeigt uns schon die wesentlichen Merkmale eines >Lernprozesses<, wie ihn John Dollard bei Tieren und Menschen beschrieben hat. Nach Dollard gehören zum Lernprozeß >Antrieb< (drive), >Anstoß< (cue), >Reaktion< (response) und Belohnung (reward)... (a. a. O. S.145)
Jeder einfache Rückkopplungsprozeß hat einen bestimmten >Zweck< oder ein >Ziel<. Damit soll gesagt sein, daß ein solches Ziel nicht bloß in der Vorstellung des menschlichen Beobachters gegeben ist; es hat vielmehr objektiven Wirklichkeitscharakter im Zusammenhang mit einem gegebenen Rückkopplungsnetz, sobald dieses physische Wirklichkeit erlangt hat. Ein Ziel kann demnach definiert werden als >ein Endzustand, in dem der Gegenstand, dessen Verhalten untersucht wird, einen definitiven räumlichen und zeitlichen Bezug zu einem anderen Gegenstand oder Ereignis erreicht.< (Rosenblueth-Wiener-Bigelow)
Diese Definition eines Ziels, einer Zweckrichtung, bedarf einer näheren Erläuterung. Es gibt für
jedes Kommunikationssystem mindestens ein solches außerhalb des Netzes liegende Ziel (eine Beziehung des Gesamtsystems zu einem außenliegenden Objekt), dem innerhalb des Netzes ein Zustand des verhältnismäßig geringsten inneren Ungleichgewichts entspricht. Auf diese Weise wird ein mehr oder weniger wirkungsvoller Ersatz für die tatsächliche Herstellung der angestrebten Beziehung mit der Außenwelt geschaffen. Es gibt zahlreiche Beispiele für eine solche stellvertretende Zielerreichung oder Ersatzbefriedigung: Kurzschlüsse in elektronischen Rechenmaschinen, Trunkenheitssymptome bei gewissen Insekten, Rauschgiftsucht oder Selbstmord beim Menschen, Ausschreitungen gegen Sündenböcke und Prügelknaben in einer krisengeladenen sozialen Gemeinschaft. Diese Beispiele weisen auf die Notwendigkeit hin, zu unterscheiden zwischen einer einfachen internen Reorganisation und einer Neuordnung, die im wesentlichen mit Mitteln versucht wird, durch die zugleich eine angestrebte Beziehung mit einem bestimmten Teil der Außenwelt herbeigeführt wird.
Damit kommen wir zu einer etwas komplexeren Form des Lernprozesses... (a. a. O. S.146)
Eine komplexere Art des Lernens stellt die sich selbst regulierende, ihr Ziel selbst verändernde Rückkopplung dar. Ein solches Netz kann durch Rückkopplung seine inneren Strukturprinzipien und damit auch sein darin vorgeschriebenes Ziel verändern oder sich selbst ein neues Ziel setzen, nach dem es im folgenden streben muß, um sein inneres Ungleichgewicht zu mindern. Zieländernde Rückkopplung ist mit einer aristotelischen Teleologie, in der jedem Ding ein individuelles, unveränderliches telos
zugeschrieben wird, unvereinbar, nicht aber mit der Darwinschen Evolutionslehre... Pathologisches Lernen ähnelt einem Verhalten, das von Moralisten als >Sünde< bezeichnet wird.... (a. a. O. S.147)

 

T'elos (Ziel) ist in Biotelie jedoch nicht unveränderlich, weil es ja mit dem sich verändernden Leben verbunden und auf dieses ausgerichtet ist.


Unter Zweckbestimmung zweiten Grades (a. a. O. S.148) — die ersten Grades wäre unmittelbare Triebbefriedigung (a. a. O. S.147) — wäre dann ein innerer und äußerer Zustand zu verstehen, der mit der größten Wahrscheinlichkeit oder erfahrungsgemäß zu erwartender Zuverlässigkeit das Netz befähigen würde, an seinem Streben nach einer Zweckbestimmung ersten Grades festzuhalten. Selbsterhaltung des Netzes wäre demnach eine Zweckbestimmung zweiten Grades, der sich alle Zwecke ersten Grades unterordnen müßten. Ein solches Netz müßte bereits eine viel komplexere Struktur haben.
Eine Zweckbestimmung dritten Grades könnte dann ein Zustand sein, der über die >Lebenszeit< eines einzelnen Systems hinausgehend eine ganze Gruppe von Netzen mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu befähigen würde, an ihrem Streben nach Zwecken des ersten und zweiten Grades festzuhalten. Diese Einzelsysteme müßten untereinander genügend Ähnlichkeit aufweisen, um ihre jeweiligen Erfahrungen gemeinsam als relevante Testfälle verwerten zu können; und sie müßten komplex und anpassungsfähig genug sein, um untereinander eine verläßlich Kommunikation betreiben zu können. Ihre gegenseitige Wechselwirkung — mit anderen Worten ihr Charakter als Gesellschaft
ist wieder eine wesentliche Vorbedingung für eine höhere Stufe des Lernprozesses, die über Zwecke des dritten Grades noch hinausführen könnte.
Als Zweckbestimmung vierten Grades schließlich wäre ein Zustand zu betrachten, der mit hoher Wahrscheinlichkeit die Erhaltung des Strebens nach einer Zweckbestimmung noch jenseits der Erhaltung einer bestimmten Gruppe oder Art von Systemen gewähren könnte. Die Erhaltung oder Entwicklung des >Lebens<, des >Geistes<, der >Weltordnung< und viele andere im Bereich der Wissenschaft, der Philosophie und der Religion formulierte Zweckbestimmungen wären hier einzuordnen.
Unsere vier Abstufungen überlagern sich gegenseitig, sie sind nicht scharf voneinander abzugrenzen... (a. a. O. S.148,149)

Wertvorstellungen und Lernfähigkeit

Beim Durchgang von Nachrichten durch komplexe Rückkopplungsnetze stellt sich ein >Wert<- oder >Schaltproblem<. Es handelt sich dabei um das Problem der Entscheidung zwischen verschiedenen Möglichkeiten, eintreffende Nachrichten durch verschiedene Kanäle oder auf verschiedenen >Assoziationspfaden< (Vannevar Bush) im Netzwerk weiterzuleiten. Wenn für eine geringe Menge von Nachrichten eine hohe Zahl gleichwertiger Kanäle zur Verfügung steht, kann das Netzwerk durch Unentschlossenheit sein eigenes Funktionieren gefährden; wenn eine geringe Zahl von Kanälen von einer großen Menge von Nachrichten beansprucht wird, kann es zur >Verstopfung< des Netzwerkes kommen... (a. a. O. S.149)
Tatsächlich scheint eine gewisser Zusammenhang zu bestehen zwischen der Lernfähigkeit einer Kultur und ihrer Fähigkeit, unter anderen Kulturen zu überleben und sich auszudehnen.... Die Lernfähigkeit eines Systems oder einer Organisation, das heißt die Reichweite einer tatsächlich mögliche n internen Neuordnung , kann ... teilweise an der Anzahl und Vielfalt der ungebundenen Hilfsmittel, die dem System oder der Organisation zur Verfügung stehen, gemessen werden... (a. a. O. S.152)
Es gibt eine wichtige dritte Art der Rückkopplung, die gleichzeitig mit der Kontrolle einer aus dem Innern des Systems ausgewählten Datenreihe abläuft; sie entspricht der Erscheinung, die wir gemeinhin als >Bewußtsein< umschreiben. (a. a. O. S.153)


Sechstes Kapitel
Bewußtsein und Wille als Strukturmuster des Nachrichtenflusses

Wir können das Bewußtsein annäherungsweise und pragmatisch definieren als eine Ansammlung von internen Rückkopplungsvorgängen , durch die sekundäre Nachrichten im Umlauf gehalten werden. Sekundäre Nachrichten berichten über Zustandsveränderungen in einzelnen Teilen des Systems, also über primäre Nachrichten. Primäre Nachrichten sind solche Nachrichten, die im System infolge einer Wechselwirkung mit der Außenwelt umlaufen. Jede sekundäre Nachricht oder Nachrichtenkombination kann jedoch die Funktion einer primären Nachricht übernehmen, indem sie sich mit einer Kombination von primären Nachrichten oder mit anderen sekundären Nachrichten oder mit deren Kombination verknüpft, was in beliebig weit reichenden Abstufungen fortgesetzt werden kann.
In jedem Fall funktioniert die sekundäre Nachricht als Symbol oder als internes Kennzeichen für eine Zustandsänderung im Netzwerk selbst. Sie wird als neue Information ins Netz zurückgeführt und beeinflußt so dessen weiteres Verhalten in der gleichen Weise wie alle anderen Daten, die der Rückkopplung unterliegen. >Bewußtsein< besteht aber nicht allein  aus dieser internen Kennzeichnung, sondern auch aus allen Vorgängen, die bewirken, daß solche sekundären Nachrichten im Netz entstehen und der Rückkopplung unterliegen und mit zwei oder mehreren Nachrichten zu gegenseitiger Wechselwirkung geführt werden.


Das Bewußtsein sozialer Organisationen


Rückkopplungsnachrichten über interne Einzelzustände des Netzes gibt es in vereinfachter Form in elektronischen Rechenmaschinen, wo sie wichtige Erinnerungsfunktionen ausüben. (a. a. O. S.154,155) Im menschlichen Nervensystem bilden sie äußerst komplexe Strukturmuster, die nicht einfach zu Studienzwecken isoliert werden können. Es gibt sie aber auch (und zwar in einer der Forschung relativ leicht zugänglichen Form) im Prozeß der Arbeitsteilung in großen menschlichen Arbeitsgemeinschaften, die sich mit Informationsverarbeitung befassen und als Kollektiv gewisse Denkfunktionen ausüben. Man findet solche Arbeitsgemeinschaften in den Forschungslaboratorien der Industrie sowie in politischen und militärischen Nachrichtendiensten...

Die leitenden Beamten, Planungsausschüsse und Beratungskommissionen einer solchen Organisation können die gewaltige Informationsmenge nicht aus den Dokumenten selbst beziehen. Sie befassen sich im allgemeinen nur mit Überschriften, Inhaltsanalysen, summarischen Übersichten, Projektvorschlägen, Aktennotizen und ähnlichen sekundären Symbolen, während die große Masse des Materials lediglich >unter der Bewußtseinsebene< der Führungs- und Planungsorgane weiterverarbeitet wird. Nur solche Problemkreise und Entscheidungen, die durch Einschaltung und Rückkopplung von sekundären Symbolen >nach oben< gelangen, werden der Organisation unmittelbar >bewußt<.
Allerdings ist die auswählende Tätigkeit eines jeden Netzwerkes keineswegs nur auf die >Bewußtseinszone< der sekundären Symbols beschränkt. Welches Material dank seiner gesonderten Kennzeichnung und Aufbewahrung überhaupt zur Verarbeitung in jene Zone gelangt, hängt schon davon ab, welches Material in den anderen Bereichen des Systems ausgewählt oder ausgeschieden, zugeordnet oder abgesondert, weitergeleitet oder blockiert, aufbewahrt oder fehlgeleitet oder verloren wird. Eine gewissermaßen automatische >Siebung< leitet schon der Berichterstatter draußen im Revier und dann abermals der Sachbearbeiter in der Nachrichtenorganisation; und wir dürfen annehmen, daß ein ähnlicher Auslesevorgang durch >unbewußtes< Erinnern und Vergessen, durch individuelle >Abneigungen< oder >Vorgefühle< und wohl auch mit Hilfe >unausgesprochener< Konventionen und Annahmen, Präferenzen und Tabuvorstellungen in menschlichen Gesellschaften und Kulturen*) funktioniert....
*) >Unter Kultur verstehen wir alle historisch gewachsenen selektiven Prozesse, die als Kanäle für menschliche Reaktionen auf interne sowohl wie auf äußerliche Reizwirkungen fungieren.< — Clyde Kluckhohn und William H. Kelly: The Concept of Culture.
In: R. Linton : The Science of Man in the Word Crisis, New. York 1945, S.84
(a. a. O. S.155,156)

Die Einordnung des Bewusstseins in die politische Kybernetik durch K. W. Deutsch bietet Anlass, auf das besondere Geheimnis und Problem des Phänomens Bewusstsein einzugehen, dessen Erschließung in seiner qualitativen Andersheit als Erlebniswelt gegenüber sonstigen Phänomenen der "Welt-Mechanik" wahrscheinlicherweise uns Menschen verborgen bleiben wird. Es geht wohl auch über das hinaus, was K.W. Deutsch "Geist" nennt. Die eben skizzierte Haltung stützt die bescheidene Auffassung des Agnostizismus, der Überzeugung also, dass uns Menschen die letzten Zusammenhänge und eine wahrscheinliche riesige Masse von Vorgängen in der Natur unbekannt bleiben, weil wir nicht über die Sinnesorgane verfügen sie wahrzunehmen. Die agnostische Auffassung begründet auch eine neutrale Haltung des Staates gegenüber Weltanschauungen und Religionen soweit diese sich im Zusammenleben mit anderen tolerant aufführen. Der Agnozistismus schließt aber spekulatives Denken nicht aus, auch wenn er einem solchen beispielsweise in der Wissenschaft nur instrumenell-fiktiven Raum einräumt

Dem Islam gegenüber ist eine Änderung unseres staatlichen Umgangs unabgänglich, da der Islam eine Einheit von Religion, Recht und Staatsorganisation vertritt, welche mit den Lebens- und Rechtsauffassungen anderer Religionen und Staaten unverträglich ist und damit gefährlichen Konfliktstoff bietet. So abseitig zunächst die Forderung nach einer Relativierung der schriftlichen göttlichen Offenbarung auch des Koran gegenüber den Regeln der Vernunft (als göttliches Geschenk) derzeit erscheint, die Muslime werden den Weg dieser Reformation beschreiten müssen, wenn sie auf Dauer in eine menschlichen Weltordnung aufgenommen werden wollen, außerhalb derer sie auf Dauer schwer oder gar nicht werden überleben können.

Die Andersartigkeit der Funktion einer biotelen Gutachteninstanz gegenüber derer des (auch parlamentarischen, also repräsentativ-demokratischen) Regierungsapparates liegt darin, dass die Gutachter ohne Einfluss der Parteien nach Zufallswahl aus durch ihre Ausbildung mutmaßlich Geeigneter ausgewählt werden. Anders als bei den Ministerien greifen diese Gutachter nicht nur auf die Wissensmaterialien und Vorlagen zurück, welche Parteien und Interessenverbände für sie zusammengestellt haben. Biotele Gutachter können sich selbst entscheiden, welche Materialen sie aus Internet, Bibliotheken oder anderen Quellen für ihre Entscheidung heranziehen und können sich bei ihrer Materialsammlung auch in direkten Anfragen an Institute und Wirtschaftsunternehmen wenden, die zur Auskunft verpflichtet sind. Die biotelen Gutachter sind dann hinsichtlich ihrer Beurteilung an das biotele Symbolsystem gebunden, das mit seiner Bewährung steht und fällt. Andere Rücksichtnahmen auf Interessen sind nach Gesetz ausgeschlossen; bei menschlichen und fehlbaren Wesen, können solche Fehlsteuerungen durch Interessen, etwa auch als unbewusste Hypothek, natürlich nicht völlig ausgeschlossen, sondern nur über die Diskrepanz des Ergebnisses verschiedener Gutachter eingedämmt werden.

Indem wir in einem Rechen- oder Verhaltensvorgang einzelne Teilvorgänge mit sekundären Symbolen versehen, können wir das Ergebnis des Gesamtvorgangs verändern. Die sekundären Symbole werden nämlich durch Rückkopplung wieder ins Netz eingeführt; damit wird die gekennzeichnete Nachricht dem System >bewußt" gemacht, in ihm häufiger als andere, nicht gekennzeichnete Nachrichten umlaufen und deshalb für eine vorrangige Behandlung eher zur Verfügung stehen; sie kann also, je nach gerade gültigen Betriebsregeln des Systems, vorrangig in einen gedanklichen Zusammenhang gebracht oder aufgespeichert, übertragen oder blockiert oder auch unterdrückt werden.
Wenn einzelne Teile oder Verbindungsstücke, in denen die Betriebsregeln sich verkörpern, mit sekundären Symbolen versehen werden, so werden sie damit dem Netz unmittelbar >bewußt<. Durch Rückkopplung wird ihre statistische Verfügbarkeit erhöht und ihre Anwendbarkeit verbessert; sie können dadurch aber auch, sofern diese Möglichkeit im System vorgesehen ist, leichter modifiziert werden. Die Auswirkungen einer solchen internen Kennzeichnung kann man sich etwa der Wirkung dramatischer Symbole oder meinungsbildender Institutionen in einer Gesellschaft vergleichbar vorstellen...(a. a. O. S.156,157)


Konfrontation und simultane Sichtung von Nachrichten

Bewußtsein besteht jedoch nicht nur aus einem, sondern mindestens aus zwei Vorgängen. Da ist einmal die rigorose Auswahl und Aussonderung einzelner Einheiten aus dem Strom der primären und nachgeordneten Nachrichten und ihre Verdichtung und Verschlüsselung in einer stark verkürzten Reihe von Nachrichten mit besonderer Kennzeichnung. Zum anderen aber erfolgt grundsätzlich eine mehr oder weniger simultane Sichtung, ein >Abtasten< der kondensierten Menge von sekundären Informationen, freilich nur so weit, wie die >Bewußtseinsspanne< (die >Brennweite> der Aufmerksamkeit und Übersicht) eines einzelnen Menschen oder die wirklich zu leistende Überwachungsfunktion oder Kontrolltätigkeit einer Organisation reicht.
Es gibt zahlreiche Beispiele solcher Einrichtungen, in denen sekundäre Symbole verdichtet und konzentriert erfaßt und zur gleichen (oder fast zur gleichen) Zeit einer Sichtung unterworfen werden. Man denke an die Generalstabskarten des neunzehnten Jahrhunderts, auf denen farbige Stecknadeln und andere bewegliche Symbole zur Darstellung von Truppenbewegungen dienten... (a. a. O. S. 157,158)
Die Gefahren, die daraus erwachsen, daß technische Neuerungen dieser Art voreilig und ohne wirkliche Kenntnis dazu verwendet werden sollen, um blitzartige und fast notwendig oberflächliche Entscheidungen über Leben und Tod von Millionen Menschen zu erleichtern, sind erschreckend... Der Realismus seiner [Norbert Wieners] Warnungen wird deutlich, wenn man erfährt, daß am 24. November 1961, auf einem spannungsgeladenen Höhenpunkt der Berlin-Krise, ein falsches Signal schon als Anlaß genügte, um Düsenbomber des Strategischen Luftkommandos der Vereinigten Staaten an die Startbahnen rollen zu lassen. (a. a. O. S.159)


Wille und Abschließung von Entscheidungssystemen

Es besteht eine offensichtliche Beziehung des Bewußtseins zum >Willen< — oder zu jenem Gefühl, einen Entschluß zu fassen, eine autonome Entscheidung fällen zu können., die wir meinen, wenn wir von unserem >freien Willen< sprechen. Wille in diesem Sinne umfaßt nicht nur intern gekennzeichnete Entscheidungen über den unmittelbaren Einsatz einer Tätigkeit oder über verschiedene Einsätze im Rahmen einer Tätigkeit, er umfaßt auch Entscheidungen darüber, ob eine Tätigkeit sofort oder erst bei einem späteren Signalzeichen aufgenommen werden soll, wobei dann die wirkliche Tätigkeit in ihren einzelnen Abschnitten automatisch abläuft, ohne daß diese noch einmal >bewußt< gekennzeichnet sein müßten... (a. a. O. S.162)

Ein grundsätzliches Problem des >Willens< in jedem selbststeuernden Netzwerk liegt .. in der Aufgabe, verschiedene Daten aus der Vergangenheit hervorzuholen und in Tätigkeit umzusetzen, und zwar bis zu dem Zeitpunkt da sich der >Wille< formt (oder die Absicht >verfestigt<, die Entscheidung >erhärtet<), und zugleich jede nachfolgende Information abzuschirmen, sofern die die >gewollte< Entscheidung beeinflussen könnte. Der Wille ähnelt dem Redaktionsschluß bei der Zeitung: man kann ihn umschrieben als eine intern kenntlich gemachte Bevorzugung von Nachrichten, die vor einer Entscheidung eintreffen, zu Lasten solcher, die erst danach eintreffen... (a. a. O. S.163)

Ein vergleichbarer Vorgang [es handelte zuletzt um zielsuchende Torpedos] primitiver Art kann sich ein für allemal festsetzen: es handelt sich um jenes >Lernen durch Prägung<, das bei jungen Graugänsen, aber auch bei verschiedenen anderen Jungvögeln, beobachtet worden ist: >Lorenz hat als erster auf die merkwürdige Tatsache hingewiesen, daß eine junge Graugans... allem, was sie in den ersten Stunden nach dem Ausschlüpfen erkannt hat, sei es ein Vogel, Tier oder Mensch, so beharrlich nachlaufen wird, wie sie normalerweise ihrer Mutter nachliefe. Es zeigt sich, daß die Fixierung sich... im wesentlichen... auf einen beliebigen Gegenstand richtet, der zuerst in Bewegung wahrgenommen wird... (W. Grey Walter: The Living Brain, New York 1953, S.136f.) (a. a. O. S.164)
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..Es handelt sich hier um das extremes Zerrbild eines Willens, ein blindes Hineingleiten in eine unwiderrufliche Entscheidung, in der die eigenen Wünsche und Neigungen ein für allemal festgelegt werden — eine extreme Art zu lernen, künftig nichts mehr zu lernen...

So aufgefaßt kann man den Begriff des >Willens< wohl auch in sinnvoller Weise auf die Verhaltensweisen von politischen Bewegungen, Völkern und sozialen Organisationen über tragen. Im Bereich von Staat und Politik ist Wille zu verstehen als ein Strukturmuster von relativ verfestigten Präferenzen und Hemmungen, die eine soziale Gruppe aus ihren früheren Erfahrungen bezieht, einen relevanten Teil ihrer Mitglieder bewußtseinsmäßig kennzeichnet und von ihnen als praktische Richtschnur angewendet wird, wodurch ihre Handlungsweise gelenkt und nachfolgende Erfahrungen begrenzt werden. *)
*) Über die Bedeutung des >Willens< für Nationalismus und Nationalität vgl. Hans Kohn: The Idea of Nationalism. New York 1944,S.6-16 (a. a. O. S.165)

Wesensmerkmale des >freien Willens<

...Das Netz will, so lange es Autonomie besitzt, so sein, wie es ist. Seine Verhaltensmuster (die >Persönlichkeit<), die es in der Vergangenheit erworben hat und die es mit jeder Entscheidung laufend verändert und neu gestaltet, sind von ihm gewollt. Dadurch, daß es in der Vergangenheit gelernt hat, ist es nicht völlig von der Gegenwart abhängig. Die Neuordnung, die es jeweils in seinem Innern vornimmt, um mit neuen von außen kommenden Problemen fertig zu werden, erfolgt in einem Wechselspiel zwischen den Erfahrungen seiner Gegenwart und seiner Vergangenheit. In diesem Wechselspiel können wir so etwas wie >innere Freiheit< erkennen. .. (a. a. O. S.166)

...Die Vielfalt der neuen Kombinationsmöglichkeiten wird also neben anderen Faktoren auch von der möglichen Vielfalt der aus der Außenwelt zugeführten Informationen sowie von der Leistung des >Gewohnheitsverbrechers< abhängen, der die inneren Schranken niederzureißen hat, welche der Integration der neuen Eingabe mit den anderen Daten des Netzes entgegenwirken. >Spontaneität< kann, abgesehen davon, daß sie den Zufluß neuer Informationen erleichtert, lediglich den Strom der bereits im Netz enthaltene n Wirkungsmöglichkeiten ausweiten.
Rückkopplungsnetzwerke dieser Art können eine Analogie zum Problem des >freien Willens< aufzeigen. Nach einer solchen Analogie arbeitet etwa eine Maschine, in der ein Speicher, der bestimmte Erinnerungen enthält, mit einem wahllos variierenden inneren Empfangsorgan durch Schaltungen verbunden ist, in denen die Entnahme und Kombination von Erinnerungen gesteuert wird. Der Zufallseffekt oder >plötzliche Impuls< des inneren Empfangsorgans wird dann einerseits durch das statistische Gewicht der Alternativen, andererseits durch den Einfluß kritischer Erkennungsprozesse und schließlich auch anhand der Strukturmuster, die aus der gespeicherten Vergangenheit der Maschine (ihrer >Persönlichkeit<) verfügbar sind, korrigiert. Eine solche Maschine kann >frei< handeln, kann Initiative entwickeln und doch >sich selbst treu< bleiben.
Unsere Analogie lehrt, daß moralische Verantwortlichkeit sich aus dem determinierten, kumulativ erlernten Teilelement des Gesamtsystems ergibt. Wenn wir einen Menschen als >verantwortlich< behandeln, so handeln wir in der Annahme, daß sein Lernprozeß intakt ist. (a. a. O.S.168,169) Ein jeder von uns ist verantwortlich für das, was er gerade ist, denn seine Persönlichkeit hat jeder sich in der Vergangenheit durch freie Entscheidungen selbst erworben. (a. a. O. S.169)

 

Siebentes Kapitel
Politische Macht und soziale Transaktionen

Es besteht ein Zusammenhang zwischen Wille und Macht. Die Verfestigung einer Entscheidung — das heißt die Abschließung des die Entscheidung treffenden Systems gegen alle nachfolgenden Nachrichten, die eine Modifizierung der Entscheidung bewirken könnten — ist praktisch bedeutungslos, sofern keine Vorrichtungen gegeben sind, um sie gegen mögliche äußere Widerstände durchzusetzen oder doch soweit wirksam werden zu lassen, daß sie verglichen mit der Gesamtheit der Umweltveränderungen, die ohnehin eingetreten wären, ein merklicher Unterschied sichtbar wird.


Der Zusammenhang zwischen Macht und Wille


Wille ist also wirkungslos ohne Macht; aber Macht ist ohne Wille nur eine Wirkung ohne Ziel. Macht kann nur eine Reihe von zufälligen Einwirkungen auf die Umwelt erzeugen, so lange kein relativ fixiertes Ziel, keine Zweckbestimmung, keine Entscheidung, keine strategische Entscheidungslinie gegeben ist, die bei der Anwendung von Macht als Richtschnur und Anleitung dienen kann... (a. a. O. S.170)

Als Macht verstehen wir dann das Ausmaß, in dem eine Person oder Organisation nachhaltig und erfolgreich ihrem Charakter und Wesen gemäß handeln kann. Anders ausgedrückt: als Macht verstehen wir die Fähigkeit einer Person oder Organisation ihrer Umwelt die Extrapolation oder Projektion ihrer inneren Struktur aufzuzwingen. In einfacheren Worten ausgedrückt heißt das: Macht besteht darin, daß man nicht nachgeben muß, sondern die Umwelt oder eine andere Person zum Nachgeben zwingen kann. Macht in diesem engeren Sinn bedeutet Priorität der Leistung (output) gegenüber der Empfänglichkeit (intake), bedeutet die Möglichkeit, zu reden anstatt zuzuhören. Macht hat in gewissem Sinne derjenige, der es sich leisten kann, nichts lernen zu müssen... (a. a. O. S.171)


Ein quantitativer Begriff des Konflikts


Aus unserer Auffassung von Macht läßt sich ein Begriff des Konflikts ableiten, der prinzipiell meßbar sein müßte. Man kann den Konflikt zwischen zwei Systemen A und B auf zweierlei Art messen:
1. als den wahrscheinlichsten Grad der Unvereinbarkeit ihrer beiden Programme in der Zukunft, und
2. als die wahrscheinlichen Kosten, die einem Partner oder beiden Partnern bei der Vermeidung eines Zusammenstoßes entstehen...
Die Unvereinbarkeit zwischen zwei handelnden  Systemen ist meßbar als die Summer der wahrscheinlichen internen Strukturveränderungen im System A und im System B für den Fall, daß jeder der beiden Systeme sein Programm ausführt. Die Unvereinbarkeit der geplanten Bewegungsrichtung zweier Schiffe oder zweier Staaten kann dann gemessen werden am wahrscheinlichen Kollisionsschaden, der entsteht, wenn beide Schiffe oder beide Regierungen auf ihrem jeweiligen Kurs fortfahren. (a. a. O. S.172)

Lasswell und Kaplan definieren die Macht als >Mitwirkung an der Entscheidungsbildung<, wobei >Entscheidung< definiert ist als >eine Verhaltensweise, die schwerwiegende Sanktionen mit sich bringen kann<... (a. a. O. S.175)
Keiner dieser Theorieansätze versucht aber ausdrücklich, die Kosten zu ermessen, die dem Mächtigen bei der Ausübung seiner Macht entstehen... (a. a. O. S.176)

Fragestellungen dieser Art führen zu unserer Unterscheidung zwischen >wirklicher Macht< (net power) und >wirksamer Macht< (gross power) zurück und lassen uns die Macht der Ohnmächtigen erkennen. >Der weiße Mann in den Südstaaten kann den Neger nur im Dreck halten,<, soll Booker T. Washington gesagt haben, >so lange er selbst im Dreck bleibt.<...

>Wirkliche Macht< könnte definiert werden als die Differenz zwischen den Veränderungen, die ein Machtträger bewirken kann, und jenen, die er in Kauf nehmen muß... (a. a. O. S.177)

... Zahlreiche Nationen und Regierungen finden sich in der mittleren Kategorie und müssen entsprechende Einbußen an ihrer Fähigkeit, die eigenen Handlungen zu steuern und Herr über das eigene Schicksal zu bleiben, in Kauf nehmen — also an der Fähigkeit, die doch gerade durch ihr Machtstreben gewährleistet schien.
Robert Dahl hat einen Weg erschlossen, um die Macht in gewissen Situationen quantitativ messen zu können. Harold Lasswell hat die Macht in den Zusammenhang zwischen allen möglichen >Grundwerten< und >Nebenwerten< eingeordnet und damit zu ihrer begrifflichen Klärung unter den verschiedensten Bedingungen beigetragen. Talcott Parsons geht in seinen neueren Schriften einen Schritt weiter. Er sieht die Macht im dynamischen Zusammenhang einer wechselseitigen Tauschbeziehung zwischen den wichtigsten funktionalen Teilsystemen des Gesellschaftsverbandes, und er hat damit den Weg geebnet, der erstmals seit den Tagen von Hobbes und Locke zu einem grundsätzlich neuen Verständnis der Macht führen kann.

 

Talcott Parsons' allgemeines Modell der Tauschbeziehungen


Parsons unterscheidet für jedes soziale System vier funktionale Grundbedingungen: (1) die Erhaltung oder Fortpflanzung der eigenen Verhaltensmuster (pattern maintenance); (2) Anpassung (adaption) an die Umwelt und ihre Veränderungen; (3.) Erreichung von Zielen, die das System sich angeeignet oder sich selbst gesetzt hat (goal attainment); und (4) Verschmelzung (integration) der sämtlichen Funktionen und verschiedenen Teilsysteme zu einem fest gefügten und geordneten Ganzen.
Zu jeder dieser vier Hauptfunktionen müssen alle gesellschaftlichen Teilsysteme einen gewissen Beitrag liefern, doch gehört zu jeder der vier Grundfunktionen ein größeres gesellschaftliches Teilsystem, dessen Beitrag dieser einen Funktion viel stärker als allen anderen gilt.
Nach Parsons wird die Erhaltungs- oder Fortpflanzungsfunktion vorwiegend vom Teilsystem der Familienhaushalte wahrgenommen, also von jenem Element der Gesellschaft, das die Kindererziehung besorgt, neue Arbeitskräfte bereitstellt und verwandtschaftliche Bindungen pflegt. Der Anpassungsfunktion entspricht vorwiegend das Wirtschaftssystem mit allen seinen wissenschaftlichen und technologischen Ausläufern. (a. a. O.S.178,179)
Zur Erreichung von gesellschaftlichen Zielen muß das Teilsystem der Politik, und hier vor allem der Staat, den entscheidenden funktionalen Beitrag leisten. Die Integrationsfunktion schließlich obliegt größtenteils dem Teilsystem der sozialen Kultur, wozu auch die öffentlichen und halböffentlichen Erziehungsinstitutionen, die Religion und die Massenkommunikationsmittel zu rechnen sind.
Zwischen diesen vier wichtigsten funktionalen Teilsystemen, die man sich am besten als die vier Ecken eines Quadrats vorstellt, können nun sechs Hauptströme wechselseitiger Tauschbeziehungen verlaufen und die vier Teilsysteme gewissermaßen entlang der vier Seiten und den beiden Diagonalen des Quadrats, miteinander verbinden. Im einfachsten Fall läßt sich dann erkennen, wie etwa die Familienhaushalte die Wirtschaft mit Arbeitskräften versorgen und dafür von ihr Konsumgüter beziehen; es handelt sich also um einen Transaktionsstrom, bei dem Waren gegen Dienstleistungen eingetauscht werden. (a. a. O. S.179)

Es ist unverkennbar, daß zumindest in Deutschland und nicht nur hier das Zusammenwirken dieser Ströme in den "Tauschbeziehungen" außer Gleichgewicht geraten ist.


In einem fortgeschrittenen System werden solche Transaktionen immer flexibler und allgemeiner dank einem sozialen Mechanismus, der >eng auf Allgemeingültigkeit spezialisiert< ist. Wir nennen diesen Mechanismus Zahlungsmittel; in unserem Fall handelt es sich um Geld, sei es in der Form von Gold, Banknoten oder Schecks....(a. a. O. S.179)


Tauschbeziehungen des politischen Systems

Betrachten wir nun das politische System, so sind es im einfachsten Fall wieder die Haushalte, die ganz bestimmte und eindeutige Forderungen an das politische System richten. Sie bieten den Regierenden ihre Unterstützung an, und diese wiederum benützen die angebotene Unterstützung, um bindende Entscheidungen, wie sie von den Anhängern gewünscht werden, zu treffen und durchzusetzen... (a. a. O. S.180)
Kreditpolitik und Investitionspolitik erscheinen also in der Betrachtung dieser Theorie vornehmlich als eine dem Wirtschaftssystem zugeführte politische Eingabeleistung. Dieser Zusammenhang wird durch die enge Beziehung zwischen Regierungspolitik und Zentralbankwesen noch verdeutlicht. Wo die Funktionen einer Zentralbank ausschließlich von unkontrollierten Privatbanken oder anderen Kreditinstitutionen wahrgenommen oder mitbestimmt werden, da liegt die Vermutung nahe, daß Banken und ihre Direktoren ein entsprechend großes Maß an politischer Macht in Händen halten... (a. a. O. S.181,182)


Die Macht als Zahlungsmittel

Aus dieser Perspektive kann man die Macht als das wichtigste >Zahlungsmittel< in den Tauschbeziehungen zwischen dem politischen System und allen anderen größeren Teilsystemen der Gesellschaft betrachten.... (a. a. O. S.182)
Macht und Sanktion bedeuten in diesem Sinne weit mehr als nur einen zwangsweisen Willensvollzug. Prestige verhält sich dabei zur Macht wie Kredit zum Bargeld. Und physische Gewalt, also Zwang im engeren Sinne, verhält sich zur Macht wie Gold zum Papiergeld, Spar- oder Scheckbuch....

Das Verhältnis von Gold zum Münzgeld und Papiergeld ist in quantitativen Größen gut bekannt, und das gleiche gilt für das Verhältnis von Bargeld zu allen anderen Geldsorten oder für das Verhältnis von Geldumlauf und Volkseinkommen. In den Vereinigten Staaten betrug Anfang 1962 das Volkseinkommen ungefähr $ 3000 pro Kopf der Bevölkerung, während die Goldreserven nur etwa 3 Prozent dieses Betrags ausmachten, nämlich ungefähr $ 90 pro Kopf. Zwischen diesen Extremen lag der Wert des umlaufenden Bargelds bei ungefähr § 160 und die gesamte Geldmenge einschließlich der Kreditpapiere bei $ 810 pro Kopf der Bevölkerung. *)
*) Nach Angaben in: International Financial Statistics (hrsg. vom Weltwährungsfonds, Bd.15, Nr.4, April 1962, S.268-271)...
Gold und Bargeld wirken demnach als marginale Hilfs- und Reservemechanismen, aber sie machen nicht die Substanz des vermögenbildenden Prozesses  aus.

 

Gold und Gewalt als Mechanismen der Schadensbegrenzung

Das politische System beruht also, ebenso wie das Wirtschaftssystem weitgehend auf einem Gewebe von gleichgerichteten Erwartungen...
Wenn Gold in ausreichender Menge vorhanden ist, können alle Einleger voll ausgezahlt werden; und indem man diese Aussicht besonders deutlich macht, kann schon die rechtzeitige Ankunft und öffentliche Zurschaustellung eines Goldtransports genügen, um eine beginnende Panik im Keim zu ersticken.
In ganz ähnlicher Weise ist physische Gewalt in Gestalt ihrer Anwendungsmittel (Menschen, die mit Panzern und Gewehren ausgerüstet sind) ein Mechanismus zur Schadensbegrenzung im Bereich der Gesellschaft... (a. a. O. S.184)

Eine Regierung oder eine Besatzungsarmee, die über genügend physische Gewalt verfügt, um alle widersetzlichen Personen zu töten oder zum Gehorsam zu zwingen, besitzt die primitivste Art von politischer >Zahlungsfähigkeit<; und indem sie ihren Besitz an roher Gewalt zur Schau stellt, kann sich eine mögliche Kettenreaktion des Ungehorsams oder Widerstands im Keim ersticken oder noch im Anfangsstadium aufhalten. Die Panzer, die Präsident de Gaulle an einem kritischen Tag zu Anfang des Jahres 1962 durch die Straßen von Paris patrouillieren ließ...
Die Politik ist, ebenso wie die Wirtschaft auf menschliche Zusammenarbeit angewiesen, und diese wiederum beruht auf gleichgerichteten Erwartungen. Wirtschaftliche Tätigkeit besteht im wesentlichen in koordinierter, anpassungsfähiger und gegenseitig abhängiger Arbeitsteilung, oder anders ausgedrückt, in der produktiven Kombination von menschlichen Fachkenntnissen und Leistungen mit einem technischen Maschinenpark, den aus der Umwelt bezogenen Rohstoffen und natürlichen Reichtümern. Aus diesem Gewebe aus anpassungsfähiger und produktiver Zusammenarbeit — und nicht aus einer noch so großen Menge an Papiergeld, Münzen und Goldbarren — entsteht Wohlstand und die Fähigkeit zur Erzeugung des Wohlstands... (a. a. O. S.185)
Ähnliches gilt auch für die Politik.. Wo der gewohnheitsmäßige Gehorsam der Gesellschaft gegenüber der gesetzmäßigen Ordnung zusammengebrochen ist, wird Militär oder Polizei einschreiten müssen, um den Aufruhr unter Kontrolle zu bringen... In der Regel sind es aber gleichgerichtete Erwartungen und nicht Drohungen, wodurch die Dinge im Gang gehalten werden... (a. a. O. S.186)


Eine Anmerkung zur politischen Theorie

Macht ist weder der Kern noch die Substanz der Politik. Sie ist lediglich eines von mehreren politischen Zahlungsmitteln, einer von mehreren wichtigen Mechanismen zur Schadensbegrenzung in Situationen, wo Einfluß, Gewohnheit oder freiwillige Gleichrichtung versagt haben oder wo diese Faktoren zur Erreichung gesellschaftlicher Ziele nicht mehr funktional ausreichend wirksam sind. Gewalt ist ein verwandtes, aber doch ein davon verschiedenes Zahlungsmittel, nur in beschränktem Umfang brauchbar zur Schadensbegrenzung. Wieder von anderer Art sind Einfluß sowie Austausch von kleinen Gefälligkeiten, den man in der Umgangsprache auch als >politisches Geschäft< zu bezeichnen pflegt. Alle diese Faktoren sind wichtig, aber jeder von ihnen ist durch andere ersetzbar, und so sind sie alle von untergeordneter Bedeutung gegenüber dem eigentlichen Wesen der Politik, wie es uns in dieser Perspektive erscheint: nämlich einer im Hinblick auf die Erfüllung gesellschaftlicher Zielvorstellungen zuverlässig funktionierenden Gleichrichtung von menschlichen Arbeitsleitungen und Erwartungen.

Es folgen einige Betrachtungen über die Möglichkeit, unter "zunehmendem Wohlstand und Bildungsstand" die staatliche Zwangsgewalt abzubauen, wie bereits Marx und Engels erträumten und Lenin es in >Staat und Revolution, Berlin 1918 oder Herbert Marcuse in >Gesellschaftslehre des sowjetischen Marxismus<, Neuwied-Berlin 1964 , H. G. Wells in >Men Like Gods, London 1927. K. W. Deutsch >Anarchism< In: Enzyclopedia Britannica, Bd.1,Chicago, 1962, S.867-869 erörterten. Es braucht nur einige Kenntnisse der menschlichen Natur, um Machtbeziehungen als unaufhebbar zu halten und den Anarchismus als zukünftige Staatsform abzulehnen, wie ich meine. (a. a. O. S.187)
Für K. W. Deutsch „ist... sie ... imgrunde wohl nicht unerreichbar“. (a. a. O. S.188)


Einige quantitative Folgerungen

Aus dem Modell des politischen Teilsystems mit seinen Tauschbeziehungen zu anderen wichtigen Teilsystemen der Gesellschaft ergeben sich quantitative Folgerungen. Der Umfang aller an ein Regierungssystem gerichteten effektiven Forderungen kann annäherungsweise bestimmt werden...
Eine differenziertere Analyse könnte die kumulativen Veränderungen dieser gegenseitigen Aktionsströme verfolgen. Wo die Privathaushalte ständig mehr Arbeitskraft in die Wirtschaft hineinstecken als zur Erzeugung der entnommenen Konsumgüter nötig ist, werden Ersparnisse und Investitionen die Folge sein. Wo die Regierung, und zwar in größerem Umfang als dies effektiv von ihr verlangt wird, die Verantwortung für weitere Zuständigkeiten an sich zieht, da haben wir die leicht erkennbare Spielart eines Obrigkeitsstaates vor uns. Wo die Regierung sich dagegen weigert, die Verantwortung für dringend verlangte Zuständigkeiten zu übernehmen (beispielsweise für das Bedürfnis einer erträglichen Lebenshaltung, nach Gesundheitsdiensten, Erziehung, sozialer Sicherheit, Arbeit), wird eine politische Entfremdung eintreten und sich schließlich auf die politische Stabilität auswirken...(a. a. O. S.188,189)
Aus Wahlstatistiken und wohl auch aus Meinungsumfragen lassen sich in direktem Zugriff Annäherungswerte für die politische Integrationsquote ablesen...


Ein Programmvorschlag

Diese wenigen Beispiele für Verhältniszahlen und deren Veränderung in relativen Geschwindigkeitswerten mögen genügen, um die Möglichkeit aufzuzeigen, wie das Modell der Tauschbeziehungen schließlich vollständig quantifiziert und teilweise zu Voraussagen befähigt werden kann. Ein Teil dieser Entwicklung müßte in der Anwendung kybernetischer Begriffe auf dieses System bestehen, müßte also auch häufiger und gezielter von Zeitvariablen und von Denkmethoden der Wahrscheinlichkeitsrechnung und der Statistik Gebrauch machen. Dazu würde zum Beispiel auch die Messung oder annäherungsweise Berechnung folgender Faktoren gehören: Größenordnung und wahrscheinliche Schwerpunktlage von Gleichgewichtsstörungen im Transaktionsfluß; entsprechende Belastung der Mechanismen zur Ausbalancierung oder Anpassung der Teilsysteme; Verzögerung, Gewinn und Führung, gemessen an deren jeweilige Reaktionen; schließlich auch die wahrscheinliche Stabilität und die voraussichtlichen Zustandsveränderungen des ganzen Systems und seiner Einzelteile... (a. a. O. S.190,191)

Es dürfte bereits aufgefallen sein, dass einige Zielbegriffe und Aspekte der Biotelie in diesem Zusammenhang der Kybernetik genannt werden, wie Gleichgewicht, VERGLEICHEN, STABILITÄT, Tausch (für AUSTAUSCH), das Ziel, mit weniger Gewalt und Macht auszukommen entsprechend der HYPARCHIE; Gliederung und AUTONOMIE,. SPONTANEITÄT und AKTIVITÄT, AUSLESE (als Auswahl), PLURALITÄT (als Vielfalt) werden noch folgen oder weiter ausgebaut, wenn auch manchmal unter anderen Bezeichnungen.


Achtes Kapitel
Autonomie, Integrität und Bedeutung

Inzwischen haben wir bereits die Hauptelemente einer Theorie der Selbstbestimmung angedeutet. Alle selbststeuernden Netzwerke haben drei Grundelemente: Empfangsorgane, Wirkungsorgane und Regelkreise. Die Eigengesetzlichkeit oder Autonomie solcher einfachen Netzwerke beruht gänzlich in ihren Regelkreisen...


Autonomie und Steuerungsstellen

Differenziertere Systeme können ihre Ziele ändern und ihre Rückkopplungsmechanismen neu >einstellen<, indem sie eine Wechselwirkung mit den in besonderen Speichergeräten aufbewahrten Informationen über die eigene Vergangenheit erzeugen. Autonomie ist hier letztlich auf Gedächtnis angewiesen, wo alle Erinnerungen verloren gegangen sind, wo alle früheren Informationen und Präferenzen nicht mehr wirksam sind, haben wir es nicht mehr mit einem sein Verhalten selbst bestimmenden individuellen Menschen oder Sozialverband zu tun, sondern mit einem selbststeuernden Automaten. Die Speicheranlagen des Gedächtnisses und insbesondere die Schaltungen der Kanäle zur Entnahme, Neuordnung, erneuten Speicherung und erneuten Anwendung von Erinnerungen sind hier von entscheidender Bedeutung. (a. a. O. S.192,193) Es kann keinen Willen, keine Entschlußkraft geben ohne funktionierendes Gedächtnis. Der Wille eines Einzelmenschen oder einer Gruppe ist gelähmt, sobald die gespeicherten Informationen über die Vergangenheit zerstört oder ihr Einströmen in das System unterbrochen wird.


Hier setzte die Strategie des fortgesetzten Krieges der Alliierten gegen Deutschland Ende der 60er Jahre an, die nahezu totale Geschichtsfälschung bzw. Auslöschung über eine systematische "Umerziehung", die offensichtlich zur Selbstaufgabe und Vernichtung führen wird, aber ganz Europa und vielleicht die "Weißen" insgesamt mit in den Abgrund reißen wird, wenn nicht — sozusagen in letzter Minute — eine Besinnung und damit eine Umkehr erfolgt.

Netzwerke mit noch komplizierterer Struktur weisen interne Bewußtseinsvorgänge auf, die bestimmte Teilzustände des Netzes überwachen. Wo Bewußtsein in genügendem Ausmaß vorhanden ist, da wird es zum entscheidenden Element im Gesamtverhalten des Systems. Die entscheidenden Stellen für die Autonomie des Systems sind dann die überwachenden Kanäle und die aus ihnen gespeisten Informationssammelstellen. Die Autonomie eines Menschen, eines Wirtschaftsunternehmens, einer sozialen Gruppe, einer Partei oder eines Regierungsapparates kann zerstört werden, wenn man zwar das Gedächtnis unbeschädigt läßt, aber das Bewußtsein ausschaltet, indem man den Informationsfluß, der über den Zustand der verschiedenen Teile berichtet, unterbricht und damit die Steuermechanismen, die zur Lenkung innerer Vorgänge auf eben diese Informationen angewiesen sind, außer Betrieb setzt...

Diese Aufgabe haben unsere Publikationsmedien übernommen, die unter dem Vorwand von "Kampf gegen Rechts" wesentliche Informationen unterdrücken und so die Demokratie der "politisch korrekten" öffentlichen Meinung unterwerfen und den Durchschnittsmenschen zum Schlafwandler degradieren.

Eine Gesellschaft, die sich selbst steuern soll, muß in voller Stärke fortlaufend einen dreifachen Informationsfluß empfangen: Informationen über die Außenwelt; Informationen aus der Vergangenheit, wodurch der Bereich der Entnahme und Neuordnung von Erinnerungen sehr weitgespannt sein muß; Informationen über sich selbst und alle Einzelteile. Wenn einer dieser drei Ströme längere Zeit unterbrochen bleibt, etwa durch Unterdrückung oder Geheimhaltung, wird die Gesellschaft zu einem Automaten, einer wandelnden Leiche. Sie verliert die Kontrolle über ihr eigenes Verhalten, und zwar nicht nur in einzelnen Teilen, sondern schließlich und gerade auch an ihrer Spitze... (a. a. O. S.193)
Bei der Selbstbestimmung sind die Rückführschaltungen mit dem relativ höchsten hierarchischen  Rang diejenigen Stellen, in denen das >Selbst< des Systems zu suchen ist. Diese Rückführschaltungen liegen niemals nur an einer einzigen Stelle; sie können vielmehr eine breite räumliche Streuung aufweisen. Wenn die ranghöchsten Kanäle vernichtet oder gestört sind, dann geht das selbststeuernde Verhalten auf die nächstniedrigere Ebene über, und das verbleibende, schon primitivere >Selbst< ist nun an den Stellen zu suchen, an denen noch die relativ ranghöchsten Rückführschaltungen funktionieren. Wo es ein Bewußtsein gibt, da ist die Eigengesetzlichkeit an den Stellen konzentriert, die das Bewußtsein tragen, also im System der selbstüberwachenden Rückführschaltungen... (a. a. O. S.194)

Eigengesetzlichkeit erscheint in dieser Perspektive nicht als eine stabile Eigenschaft, sondern als Funktion einer bestimmten Anzahl von Kanälen in einem Kommunikationssystem. Die Selbstbestimmung ist um so größer, je höher die Zahl, die Wirksamkeit der Organisationsform und die Rangordnung dieser Kanäle ist. Diese Auffassung stimmt mit dem Hinweis von A. J. Toynbee überein, wonach die Entwicklung von Organismen und Kulturen nicht an ihrer zunehmenden Größe, sondern an ihrer zunehmenden Selbstbestimmung zu messen sei. (Arnold J. Toynbee: A Study of  History. Bd.3. London 1935, S.112 - 217)


Integration und Würde

Integrität
bedeutet somit das ungestörte Funktionieren der Anlagen, die dem Vorgang der Selbstbestimmung zugrunde liegen. Die >Integrität< jedes selbststeuernden Systems kann entweder dadurch gestört werden, daß man einigen Kanälen eine nicht-autonome Veränderung aufzwingt (etwa indem man einen Kanal abtrennt oder seine Schaltverbindungen unterbricht), oder auch dadurch, daß man die Kanäle unversehrt läßt, ihnen jedoch eine so große Nachrichtenlast aufbürdet, daß der eine oder andere seiner Funktion nicht mehr gewachsen ist. ...
Wenn wir unsere >Integrität< verteidigen, dann meinen wir unsere autonomen Lernmechanismen, das heißt die Persönlichkeitsstruktur, die wir uns erworben haben. Wenn wir die Würde eines Menschen verteidigen, dann meinen wir seine Fähigkeit, von seiner Persönlichkeit Gebrauch zu machen: wir verteidigen ihn gegen den Zwang, mit unerträglich hoher Geschwindigkeit lernen zu müssen; also sein Verhalten unerträglich rasch ändern zu müssen — unerträglich insofern, als dieser Zwang mit dem dauernden Funktionieren seiner Selbstbestimmung, mit seinem autonomen Lernprozeß unvereinbar ist. Demnach wird die Würde eines Menschen beeinträchtigt, wenn man ihn zu einer Handlung zwingt, die ihn von der autonomen Steuerung seines eigenen Verhaltens ausschließt und ihn stattdessen zum Objekt eines anderen Vorgangs, in Kants Terminologie zum >Mittel< anstatt zum >Zweck< werden läßt. Je umfassender der Verlust der Selbstbestimmung, desto tiefgreifender ist der Verlust der Würde...

Begriffe wie >Menschenwürde<, >Integrität< und >Eigenwert der menschlichen Persönlichkeit< haben eine bedeutende politische und emotionale Wirkungskraft. Sie wurden in die Charta und in die Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen aufgenommen. Sie wurden zuweilen wegen ihrer Unbestimmtheit kritisiert, aber es scheint, daß man ihnen nunmehr eine präzise und operationale Bedeutung zuschreiben kann, nämlich Respekt vor dem Recht jedes Menschen, mit seiner eigenen Geschwindigkeit und mit seinem eigenen inneren Rüstzeug nach einem ununterbrochen ablaufenden, autonomen Verfahren zu lernen und dabei seine persönliche Vergangenheit, die er gespeichert, und seine persönlichen Präferenzen, die er sich angeeignet hat, auf jeder Stufe soweit anzuwenden, daß das Ergebnis dadurch zumindest mitbestimmt wird.
Würde ist ungestörtes Lernen. Integrität ist ein störungsfreier und unbeschädigter Zustand der inneren Lernmechanismen. (a. a. O. S.196,197)

Aber was hat da der Westen den Afghanen und Irakern jüngst zugemutet?


In Katastrophenfällen und plötzlich hereinbrechenden Ausnahmesituationen sind Würde und Integrität nicht immer mit dem Überleben vereinbar. Wo die Macht der Umstände den Menschen eine halsbrecherische Geschwindigkeit im Lernen aufzwingt, da sind häufig zweierlei Opfer zu beklagen: die stolzen, unbeu8gsamen Charaktere >alter Schule<, die um sich schlagen und mit fliegenden Fahnen untergehen, und die rückgratlosen Opportunisten, die sich das Leben erkaufen, nur um zu überleben.
Die Lösung des Problems liegt vielleicht in einer Erweiterung aller inneren Anlagen, die eine ununterbrochen störungsfreie Anpassung mit hoher Geschwindigkeit bewältigen können. Hohe Lerngeschwindigkeiten und weitgehende Verhaltensänderungen ohne jeden Verlust an innerer Struktur und wirksamer Vergangenheit sind vielleicht am besten zu erreichen, indem man Vielfalt, Flexibilität und Zahl der inneren Kommunikationskanäle steigert. Integrität und Würde reichen nicht aus, um dauerhafte Selbstbestimmung zu gewährleisten. In der Sprache der Religion heißt das, daß Stolz den Tod bedeutet, wo eine Glaubensänderung das Leben retten kann...


Zur Begriffsbestimmung des Geistes

Nach diesem sehr flüchtigen Überblick über gewisse Kommunikationsmuster können wir vielleicht versuchen, den Begriff des Geistes näher zu bestimmen. Als Geist (mind) kann zunächst einmal jeder sich selbst in Gang haltende physische Vorgang definiert werden, der folgende neun Operationen mit einschließt: Auswahl, Abstraktion, Übermittlung, Speicherung, Unterteilung, Entnahme, Neuordnung, kritisches Erkennen und erneute Anwendung von Informationselementen.

Einzelne (>diskret<) Informationselemente, die durch ein Netzwerk geleitet werden, heißen >Nachrichten<. (a. a. O. S.197,198) Physikalisch gesehen ist jede Nachricht ein reproduzierbares Strukturmuster von Zustandsveränderungen einzelner Netzteile, dem regelmäßig bestimmte, von diesem Strukturmuster abhängige Vorgänge nachfolgen. (Mitteilung von Norbert Wiener. 11.04.1949) Jede Nachricht, die eine relativ stabile Beziehung zu einem Ereignis außerhalb des Netzes aufweist, kann als Symbol tätig sein. Geist ist demnach als ein sich selbst erhaltender Vorgang zur Übermittlung und Verarbeitung von Symbolen zu verstehen...

Beim schöpferischen wie auch beim eklektischen Denken erfolgt eine Neuordnung alter Elemente; aber während der Eklektizismus nicht über diesen Vorgang hinausgeht, abstrahiert die Schöpferkraft neue Strukturmuster aus der Kombination und verwendet sie weiter. Nach einer solchen sekundären Abstraktion und Speicherung kann das neue Strukturmuster entweder zu neuen Kombinationen im Rahmen einer weiteren geistigen Tätigkeit verarbeitet oder gleich direkt in neuen Aktionsmustern der Wirkungsorgane des Systems angewandt werden.
Dieses letztere Ergebnis einer Neuerung, nämlich die Einführung eines neuen Verhaltenselements. können wir als Initiative bezeichnen. In besonderen Fällen kann Initiative eine ganze Reihe von Verhaltensweisen betreffen, wobei die Neuerung darin besteht, daß Präferenzen und Wertvorstellungen nach einem allgemeinen Strukturmuster verändert werden, wodurch ganze Kategorien künftigen Handelns eine neue Wahrscheinlichkeit gewinnen....(a. a. O. S.198,199)

Gibt es einen Lernprozeß der Gruppe, das heißt bewirken neue Informationen wesentliche Veränderungen in der Struktur der Gruppe? ... daß also ein Mensch oder eine kleinere Gruppe an mehreren selbststeuernden Kommunikationssystemen, in denen Gedanken erzeugt und verarbeitet werden, teilhaben kann.
Der Vorgang, den wir >Geist< genannt haben, ist auf eine bestimmte Zusammenstellung von physischen Anlagen angewiesen; er ist aber nicht angewiesen auf die Erhaltung der einzelnen Anlagen , sofern diese jeweils durch andere Anlagen ersetzt werden können, ohne daß die Gesamtstruktur zerstört wird... Auf diese Weise können Steinquader bei der Renovierung einer Kathedrale, Drähte und Relais in einer Telephonzentrale, Zellen in einem lebenden Körper ersetzt werden; Menschen leben und sterben und werden in ihrer Funktion für die Gesellschaft ersetzt — dies alles, ohne daß dabei die relevante Zusammensetzung dieser Strukturen notwendigerweise zerstört wird.... (a. a. O. S.200)

Da der Geist auf physische Anlagen angewiesen ist, gehört dazu notwendigerweise auch ein Vorgang, der diese Anlagen vor dem Verfall bewahrt. Zum Geist gehört Leben. Organisches und soziales Leben ist in gewisser Hinsicht als ein sich selbst erhaltender, reproduzierender und verändernder Autokatalysator zu verstehen, oder allgemeiner gesprochen, als eine sich selbst erhaltende, reproduzierende und verändernde Struktur von materiellen Vorgängen...(a. a. O. S.201)

Leben kann ohne Denken bestehen, weil die fortlaufende Instandhaltung von Kanälen auch ohne zusätzliche Rückkopplung von Informationen möglich ist., aber Geist kann nicht ohne Leben bestehen, weil die fortlaufende Rückkopplung von Informationen nicht ohne die Instandhaltung der Kanäle möglich ist...(a. a. O. S.202)

In gewissen Kanalanlagen, zum Beispiel in Rechenmaschinen, können alle Informationsströme gelöscht werden, so daß jeder neue Durchlauf unbeeinflußt von allem, was zuvor geschehen ist, von vorne beginnt...
der Geist ist keine Maschine, sondern das Strukturmuster eines nur einmal durchlaufenden Informationsprozesses.
Zum Geist gehört deshalb Individualität. ... Es scheint nahezu ausgeschlossen, daß sich zwei Menschen, deren Geistestätigkeit längere Zeit in einer nicht-einheitlichen Umwelt abläuft, nicht allmählich geistig voneinander unterscheiden, selbst wenn die >körperliche Ausstattung< — die Anlage ihrer Kanäle — anfangs genau identisch gewesen ist. Die unterschiedliche Entwicklung der Persönlichkeit von eineiigen Zwillingen scheint diese Auffassung zu bestätigen... (a. a. O. S.203)

Aus den Ergebnissen der Forschungen über Entropie können wir vielleicht schließen, daß Geist nur relativ selten vorkommt. Vorgänge mit einem hohen Ordnungsgrad sind statistisch weniger häufig als Vorgänge, die durch weniger Ordnung (also größerer Entropie) gekennzeichnet sind...
Nach den gleichen Erwägungen kann man aber auch erwarten, daß Geist zwar selten, aber doch weit verbreitet im Universum vorkommt...
Wie wir voraussetzen, daß es Gesetze der Gravitation oder der Verbrennung oder der Biologie gibt, können wir auch annahmen, daß es gewisse >Gesetze des Geistes< gibt, die für jede Spielart des Geistes gelten, und zwar unabhängig von den jeweiligen physischen Vorgängen, auf denen die inneren Kommunikationskanäle beruhen. (a. a. O. S.204) Zum Geist gehören zum Beispiel in jedem Fall Gedächtnis, Autonomie und Individualität. Geist muß in irgendeiner Weise die gegenwärtigen Informationen aus der Außenwelt mit den Informationen aus seiner eigenen Vergangenheit (seinem Gedächtnis) in Einklang bringen. Er kann nicht ohne Präferenzen oder Werte arbeiten. Was wir über Eigengesetzlichkeit, Integrität und Würde gesagt haben, muß auf jede Form des Geistes zutreffen; das gleiche gilt für den Zusammenhang zwischen schöpferischem und pathologischem Lernen.
Es ist bekannt, daß die ethischen Normen der großen philosophischen und religiösen Lehren der Welt weitgehend ähnlich, ja häufig identisch sind...
Begriffe wie >geistige Gesundheit< und >moralische Gesundheit< sind uns vertraut, und es hat schon immer Mutmaßungen über ihren Zusammenhang gegeben. Es müßte möglich sein, diese allgemeinen Begriffe mit genaueren strukturellen Details auszufüllen, die der Nachprüfung durch bestimmte Operationen zugänglich wären...
Zwischen dem Begriff der Selbstbestimmung und dem Begriff des Wachstums besteht ein Zusammenhang, und ein zeitgenössischer Geschichtsphilosoph hat die Ansicht vertreten, daß ein Zuwachs an Selbstbestimmung das wesentliche Kriterium des Wachstums sei. [Toynbee, a. a. O. S.217]. Gleichwohl sollte der Begriff des Wachstums noch weiter gefaßt werden..
Wachstum sollte nicht nur den höchsten Grad von Einheit und Selbstbestimmung innerhalb der bestehenden Grenzen eines Systems bedeuten (was man mit Parsons als >Integration< bezeichnen könnte) und auch nicht einfach eine bloße Erweiterung des System ohne jede Veränderung seiner Leistungsmerkmale (also Wachstum im Sinne der Erhaltung von Verhaltensmustern oder pattern maintenance, wie es bei Parsons heißt. [a. a. O. S.205, 206] Wachstum sollte auch bedeuten, daß die Lernfähigkeit des Systems dazu verwendet wird, um seine Aufnahmebereitschaft, das heißt die Reichweite, Vielfalt und Leistungsfähigkeit seiner Kanäle zur Aufnahme von Informationen aus der Außenwelt zu vergrößern (was etwa der >Anpassung< oder adaption
bei Parsons entspricht). Darüber hinaus sollte Wachstum eine Steigerung in der Fähigkeit einer Organisation bedeuten, auf ihre Umwelt in wirksamer Weise und entsprechend ihren Bedürfnissen zu reagieren (also nach Parsons die Erreichung der eigenen Ziele , die Funktion des goal attainement, zu gewährleisten). Und schließlich sollte Wachstum auch eine Zunahme der Reichweite und Vielfalt aller Ziele, denen eine Organisation nachstreben kann, bedeuten — einschließlich der Fähigkeit, ihre Ziele zu ändern und sich selbst neue Ziele zu setzen. Das dritte dieser Wachstumskriterien, die Aufnahmebereitschaft und Anpassungsfähigkeit eines Systems, ist von Philosophen und großen religiösen Führern immer als >Demut< bezeichnet worden. Das letzte dieser Kriterien, also die Fähigkeit einer Organisation, nicht der Gefangene einer zeitweiligen Zielvorstellung zu bleiben, sondern ihre Ziele ändern zu können, hat man auch als die Fähigkeit des Menschen bezeichnet, der >Vergötzung von vergänglichen Einrichtungen< (idolization of ephemeral institutions) zu entgehen.

Aus Sicht der Biotelie heraus, kann all diesen Forderungen nach Fähigkeiten eines Systems zugestimmt werden, wobei sie im Hauptzielbegriff der dynamischen Stabilität enthalten sein sollen und von K. W. Deutsch treffend beschrieben werden. Der Bogen reicht über den Aspekt der AKTIVITÄT als Handlungsfähigkeit; gestützt durch das VERGLEICHEN; letztlich bis zur Überlebensfähigkeit; die mit dynamische Stabilität ausgedrückt wird.
Das Bevölkerungswachstum der Menschheit ist jedoch derart aus den Fugen geraten, dass der Erhaltung der Massen jegliche Rücksichten auf die hier aufgeführten hehren Ziele der Selbstbestimmung in wachsendem Maße zum Opfer fallen und Massenelend, wenn nicht sogar zukünftig Massenvernichtungskriege, die Folge sind. Hier sollte der Mut und die Bemühung derjenigen von höherer Bildung und bequemem Auskommen ansetzen, eine Regelungspolitik neben der Machtpolitik zu entwickeln, um sie gegenüber letzterer, die doch zu einer lebenserhaltenden und zugleich für alle erträgliche Politik auf lange Sicht unfähig ist, in eine Vormachtstellung zu bringen.


Geisteshaltung und Bedeutung

.. Während der Geist niemals ohne Werte arbeiten kann, bezeichnet Geisteshaltung eine Wertung zweiten Grades, eine Gruppe von Präferenzen, bezogen auf verschiedene Gruppen von Präferenzen. Menschen, Völker, Epochen haben neben anderen Eigenschaften auch die Eigenschaft gemeinsam, daß sie Systeme repräsentieren; die Geisteshaltung eines Menschen, eines Volkes oder einer Epoche besteht in der Zusammensetzung der Regeln, nach denen die Wertsysteme geordnet und angewandt werden. Die Beziehung zwischen Geisteshaltung und Werten entspricht der zwischen Strategie und Taktik, zwischen Richtlinie und Einzelmaßnahmen. Eine Änderung der Geisteshaltung bedeutet demnach eine strategische Veränderung der Verhaltensmuster. Unter geeigneten Bedingungen kann eine solche Änderung wie eine Nachricht übertragen werden.
Wie Geisteshaltung die internen Strukturmuster des Geistes betrifft, so bezeichnet Bedeutung seine Beziehungsmuster in einem weiteren Zusammenhang....
In kürzeren Worten: Bedeutung heißt Zusammenhang. Eine Bedeutung erkennen heißt Ähnlichkeiten in einer Reihe mit gleichem logischen Rang und darüber hinaus die Extrapolation dieser Reihe in einer anderen Reihe von höherem logischen Rang erkennen.
Bedeutung ist demnach eine physische Position in einer Folge von Ereignissen. Bedeutung ist deshalb immer relativ. Es gibt so viele Bedeutungen, wie es logische Rangstufen gibt. Und es gibt so viele logische Rangstufen wie es physische Zusammenhänge, das heißt objektive Abläufe von physischen Ereignissen gibt. In diesem Sinne ist >Bedeutung< wirklich vorhanden, ob sie nun von einem Beobachter wahrgenommen wird oder nicht: der Felsbrocken, den ein kleiner Junge auf die Eisenbahnschienen gelegt hat, >bedeutet< im Zusammenhang mit der Eisenbahn möglicherweise eine Katastrophe, ob nun der Junge sich dessen bewußt ist oder nicht; er kann in anderen Zusammenhängen noch mehr bedeuten, beispielsweise in der Erziehung des Jungen oder in seiner Persönlichkeitsbildung, und auch diese Veränderungen sind nicht notwendigerweise von seiner Einsicht abhängig, wenngleich sie davon beeinflußt werden können...(a. a. O. S.207)
Aus unserer früheren Darstellung dürfte klar hervorgehen, daß ein wesentlicher Teil des Geistes darin besteht, Ereignisse mit Bedeutungen in Beziehung zu setzen und die zugeschriebenen Bedeutungen zu verifizieren... (a. a. O. S.208)


Dritter Teil
Kommunikationsmodelle und politische Entscheidungssysteme


Neuntes Kapitel
Kommunikationsmodelle und politische Entscheidungssysteme
Einige Folgerungen für die Forschung


... Allgemein kann Information definiert werden als das Strukturmuster eines Verteilungszustandes oder auch als ein Beziehungsmuster von Ereignissen. Entsprechend kann die Verteilung von Licht und Schatten in einer Landschaft annähernd wiedergegeben werden durch die Verteilung deiner Menge von elektrischen Impulsen in einem Fernsehkabel... (a. a. O. S.212)


Empfang von Informationen

Die Wirkung einer Information beim Empfänger ist von zweierlei Bedingungen abhängig. Zunächst müssen sich zumindest einzelne Teile des empfangenden Systems in einem sehr unstabilen Gleichgewicht befinden, so daß die winzige Energiemenge, die das Signal überträgt, schon genügt, um einen weitgehenden Veränderungsprozeß auszulösen. Wenn ein solches Ungleichgewicht beim Empfänger nicht schon vorhanden ist, wird die Information keine bedeutenden Auswirkungen haben... (a. a. O. S.214)


Fülle der Information und Selektivität des Empfangs

Bei der zweiten Art von Bedingungen, nach denen sich die Wirkung einer Information richtet, handelt es sich um die begrenzte Aufnahmefähigkeit oder Selektivität des Empfängers. Welche Informationsmuster muß der Empfänger schon gespeichert haben und wie genau passend müssen die eintreffenden Signale sein, um eine Wirkung hervorzurufen? Ein einfaches Beispiel für dieses Problem ist die Beziehung zwischen Schlüssel und Schloß... (a. a. O. S.215)


Messung von Informationen und Wiedergabetreue von Kanälen

Als Ergebnis aller dieser Arbeiten hat sich ein quantitativer Begriff der Information herausgebildet. Information kann gemessen und gezählt, und die Leistung eines Informationskanals, der die Informationen überträgt oder verzerrt, nach quantitativen Maßstäben bewertet werden... (a. a. O. S.216)


Information und sozialer Zusammenhalt

Wenn wir Informationen messen können, und sei es auch nur in grober Annäherung, dann können wir auch den Zusammenhalt von Organisationen oder Gesellschaften messen, und zwar an ihrer Fähigkeit, Informationen mit kleineren oder größeren Verlusten oder Verzerrungen zu übertragen. Je geringer die Verluste und Verzerrungen und beigemischten irrelevanten Informationen (oder >Geräusche<) sind, desto leistungsfähiger ist ein Kommunikationskanal oder eine Kommandostruktur (>Befehlskette<). (a. a. O. S.217)

Die Fähigkeit zur weitreichenden und wirksamen Kommunikation über nichttraditionale Themen dürfte von Bedeutung sein für Zusammenhalt und Lernfähigkeit von Völkern und politischen Systemen in Ländern, die eine rasche Industrialisierung durchmachen... (a. a. O. S.218)


Systeme der persönlichen Kommunikation und Symbole der Legitimität

Viele Studien über Politik haben die Bedeutung der Macht und des Zwanges hervorgehoben; nun ist es an der Zeit, darauf hinzuweisen, daß jeder Zwang auf vorherige Information angewiesen ist. Es ist unmöglich, die Ausführung eines Befehls zu erzwingen, solange die Zwang ausübende Stelle nicht weiß, gegen wen sich der Zwang richten soll— eine Binsenweisheit, die den Liebhabern von Kriminalromanen schon viel Vergnügen bereitet hat. Das Problem wird ernster, wenn Zwang sich gegen eine größere Anzahl von persönlich nicht bekannten Mitgliedern einer widerspenstigen Bevölkerung gerichtet werden soll: solche Situationen ergeben sich gegenüber Verschwörungen, Untergrundbewegungen, Widerstandsaktionen in militärisch besetztem Gebiet und Guerillakämpfern.
In ähnlicher Weise ist Folgeleistung auf vorherige Information angewiesen. Niemand kann einem Befehl folgen, solange er nicht weiß, was befohlen wird... (a. a. O. S.219)

Bei der Beurteilung der politischen Rolle dieses Sachverhaltes [es handelte von der Legitimitätswirkung von Befehlen] können leicht zwei Fehler gemacht werden. Der erste besteht darin, die Rolle von unpersönlichen Kommunikationsmitteln (Rundfunksendungen, Zeitungen und dergleichen) zu überschätzen und unvergleichlich größere Bedeutung von persönlichen Kontakten zu unterschätzen. Die entscheidende Wirkung einer politischen Partei oder einer Untergrundorganisation besteht gerade in ihrer Funktion als ein Netzwerk von solchen persönlichen Kontakten...
Der zweite Fehler besteht darin, die Legitimationsmythen oder -symbole isoliert von den Nachrichtensystemen und menschlichen Kontaktnetzen (die man auch als >Organisation<, >Maschine<, >Apparat< oder >Bürokratie< bezeichnet) zu sehen, in denen sie übertragen und selektiv verbreitet werden. Während des Zweiten Weltkriegs galten mehrere Exilregierungen beim Großteil der Bevölkerung in den von den Deutschen besetzten Gebieten weiterhin als die einzigen legitimen Regierungen. Die entscheidende Unfähigkeit der Nazis, ihren Legitimitätsvorstellungen in diesen Ländern Geltung zu verschaffen, führte zum Aufbau von Widerstandsorganisationen im Untergrund, deren Mitglieder weitgehend Kommunisten und ihnen nahestehende Personen waren. Die Möglichkeit zur Mitarbeit im Untergrund verdankten die Kommunisten zumindest anfangs teilweise den Legitimationsvorstellungen, die eine solche Zusammenarbeit zuließen; ohne diese Vorstellungen, durch die das Ansehen der französischen oder tschechoslowakischen Republik oder der norwegischen Krone allen Mitwirkenden im Untergrund zugute kam, hätten die Kommunisten eine eigene und schwächere Untergrundtätigkeit organisieren müssen. (a. a. O. S.220,221)
Ohne weitverbreitete günstige Legitimationsvorstellungen ist der Aufbau eines Netzwerks der persönlichen Kommunikation überaus schwierig, wie beispielsweise der Fehlschlag der Quisling-Gruppe in Norwegen gezeigt hat...

Wir können demnach annehmen, daß politische Macht eigentlich im mehr oder weniger weit reichenden Zusammenwirken von Legitimationsvorstellungen und sozialen Kommunikationskanälen entstehen kann... (a. a. O. S.221)

Das biotele System verfügt noch nicht über wirksame soziale Kommunikationskanäle. Von den infragekommenden Ansprechpartnern gehobener Bildung werden zunächst höchstens einzelne zu einer Mitarbeit bereit sein, zumal es sich ja um einen ehrenamtlichen Anfang handelt. Die Legitimationsfrage scheint — theoretisch wenigstens — einfacher zu lösen sein. Die Zielsetzung der dynamischen Stabilität entspricht der international anerkannten "nachhaltigen Entwicklung" der Brundtland-Kommission, die Teilziele und Methoden in den biotelen Aspekten ist weitgehend altes philosophisches Gedankengut mit weitgehender Anerkennung. Mit der Erklärung von Biotelie zum Naturrecht, wird an uralte Sehnsüchte der Menschheit angeknüpft. Selbst die Anhänger einer "Herrschaftslosigkeit" (Anarchie) können in der Anwendung eines unabhängigen biotelen Gutachtenverfahrens ein Stück Machtverzicht erkennen. Um den vorherrschenden Stimmungen der einer biotelen Gesetzgebung Unterworfenen Rechnung zu tragen, wird das Inkrafttreten jedes biotelen Gesetzes an die Zustimmung (oder besser ausgedrückt: Duldung) der von ihm Betroffenen in direktdemokratischer elektronischer Abstimmung unterworfen. Man darf freilich sich nicht der Illusion hingeben, daß die Abstimmenden immer der Tatsache Rechnung tragen werden, daß sich biotele Gesetzesanträge am Gemeinwohl orientieren. Gegen Anti-Korruptionsgesetze werden nicht nur die Reichen, sondern auch die Armen zunächst starke Bedenken haben. Die kleinen Leute werden erst lernen müssen, daß sie bei Verzicht auf kleine Gaunereien trotzdem profitieren, wenn den großen Gaunern in weitem Umfang das Handwerk gelegt wird. Aber vielleicht findet sich doch eine mächtige Gruppe aus den Eliten, welche das Schmierentheater der gängigen Politik nicht gänzlich unkontrolliert weiterlaufen lassen wollen und für eine sachlich orientierte und gesteuerte Politik in überschaubaren Teilbereichen eintreten oder wenigstens für eine Vorbereitung einer solchen für den Fall großer Katastrophen.

Die >mittlere Ebene< der Nachrichten- und Befehlsübermittlung

Die strategisch wichtige >mittlere Ebene< kann etwas genauer eingegrenzt werden. Es handelt sich um diejenige Kommunikations- und Befehlsebene, die in >vertikaler< Richtung der großen Masse der Verbraucher, Staatsbürger oder einfachen Soldaten nahe genug liegt, um jeden  dauernden und wirksamen Kontakt zwischen diesen und den Personen auf der >höchsten Ebene< zu unterbinden oder ihm zuvorzukommen; es ist dies zugleich die Ebene, die hoch genug über der breiten Masse liegt, um eine wirksame >horizontale< Kommunikation und Organisation zwischen einem hinreichend großen Teil der Personen und Einheiten der gleichen Rangstufe ermöglichen. Unter diesem Gesichtspunkt ist im allgemeinen die Zahl der Generale zu klein, als daß es ihnen möglich wäre, von den Mannschaften direkt Informationen entgegenzunehmen oder ihnen direkt befehle zu erteilen; und die Zahl der Feldwebel und Leutnante ist zu groß, als daß es ihnen möglich wäre, sich zu politischen Zwecken in wirksamer Weise zu organisieren. In jeder Hinsicht scheinen die Obristen an der Stelle zu sitzen, die für politische Intrigen am besten geeignet ist; und tatsächlich sind die Länder, in denen Offiziere traditionsgemäß sich in die Politik einmischen dürfen, sofern man dies nicht gar von ihnen erwartet, die Obristen diejenige Gruppe, die sich am meisten hervorzutun pflegt... (a. a. O. S.222,223)
Mit diesem Begriff der >mittleren Ebene< haben wir vielleicht einen relativ einfachen Zugang zur Analyse von Regierungsformen, Parteien oder politischen Entscheidungssystemen gewonnen, die kurzfristig durchführbar ist, wo Zeit und Forschungsmittel beschränkt sind. In allen Systemen dieser Art sollte man zuerst nach der entscheidenden Gruppe auf der mittleren Ebene (oder eigentlich schon auf einer >mittleren Hochebene<) sehen, die jene fünfzig bis fünfhundert Personen umfaßt, ohne deren Mitwirkung oder Zustimmung (oder auch Ersetzung) in fast allen Entscheidungssystemen nichts unternommen werden kann. In der Armee sind dies die Obristen; im Regierungsapparat vielleicht die höchsten Beamten der Ministerien und die Leiter der Personalabteilungen... (a. a. O. S.225)
Es ist bemerkenswert, daß die Personen auf dieser strategisch wichtigen >mittleren Ebene< im allgemeinen sehr geringe Publizität erhalten. Sie sind >Männer hinter den Kulissen<, die die eigentliche Arbeitslast der Ausarbeitung, Genehmigung und Ausführung der meisten strategischen Entscheidungen tragen... (a. a. O. S.224)


Interne Intelligenzfunktion und kontinuierliches Führertum

Zur Politik gehört, wie wir gesehen haben, einerseits ein Instrumentarium, mit dem die Durchsetzung von Befehlen erzwungen werden kann, andererseits eine gewohnheitsmäßige Folgeleistung gegenüber diesen Befehlen. Die zwei damit zusammenhängenden Informationsströme können unter >normalen< politischen Verhältnissen als gegeben vorausgesetzt werden; das heißt unter den typischen Verhältnissen eines westeuropäischen Staates im späten neunzehnten Jahrhundert, in einer Friedenszeit ohne unmittelbare Kriegsgefahr und ohne innenpolitische Umwälzungen...(a. a. O. S.225,226)

In ... Unruhesituationen sieht sich eine Regierung nicht nur dem vordergründigen Problem gegenüber, wie sie dafür sorgen könne, daß ihre Beamten den gewünschten Loyalitäten und Wertvorstellungen treu bleiben, sondern auch dem technischen Problem, wie sie sich einen ständigen Zustrom von verläßlichen Informationen über das Verhalten ihrer Beamten sichern soll. (a. a. O. S.226,227) Bis zu einem gewissen Grad genügt auf die Frage >Wer bewacht die Wächter?< die Antwort: >Seine Kollegen sowie die gesamte Bevölkerung, sofern sie in den allgemeinen Legitimitätsvorstellungen eine ausreichende Motivation finden.< In einer Gesellschaft aber, in der die politischen Opportunisten überwiegen, die sich wenig um Legitimität kümmern und lieber den Siegern jeweils rechtzeitig zu Hilfe eilen, wandelt sich das Problem zu einem Rechenkunststück, mit dem man herauszufinden hofft, wie viele Menschen in einem gegebenen Zeitraum ihre politische Gesinnung in welchem Ausmaß ändern werden. In einem Land oder in einer Zeit mit schwachen Legitimitätsvorstellungen ist deshalb der Zeitfaktor bei jedem politischen Gesinnungswandel, bei jeder Verschwörung, bei jeder Säuberung von höchster Bedeutung. Selbst wo es fest verankerte Legitimationsvorstellungen gibt, müssen potentiell aufsässige Inhaber von Führungspositionen manchmal langsam und in ehrenvollen Abstufungen degradiert werden (wie es zeitweise in der Sowjetunion üblich war), damit die Gefolgsleute genügend Zeit finden, sich von ihnen mit dem geringsten Gesichtsverlust zu lösen.
Die Inhaber der politischen Vollzugsgewalt scheitern aber nicht nur, wenn sie sich über das wahrscheinliche Verhalten ihrer Mitarbeitern oder untergeordneter Organisationen nicht laufend zu informieren verstehen, sondern möglicherweise auch dann, wenn sie die Reaktion der Bevölkerung auf die Ausübung politischen Zwanges falsch eingeschätzt haben... (a. a. O. S.227)


Freiwillige Nachahmung und militärische Kampfmoral

...Werden die Regierenden von den Regierten als Vorbilder oder >Bezugsgruppen< (reference groups) akzeptiert? Diese Frage ist von A. J. Toynbee mit dem Zusammenbruch von Imperien in Beziehung gesetzt worden: Werden Verhaltensmuster, die von den Regierenden vorgeführt oder angeregt werden, von der Bevölkerung freiwillig nachgeahmt? Toynbee vertritt die Auffassung, die er mit einer Reihe von historischen Beispielen belegt, daß die Verweigerung der Nachahmung lange vor der Verweigerung des Gehorsams eintritt und ein Vorzeichen der Auflehnung darstellt. (a. a. O. S.229,230) In Toynbees Terminologie sind Kulturen, die in Ausdehnung begriffen sind, dadurch gekennzeichnet, daß sie von einer Minderheit regiert werden, die es versteht, die Masse der Bevölkerung so zu >bezaubern<, daß diese sie nachzuahmen sucht...

 

Entscheidungssysteme und Informationstragfähigkeit

(a. a. O. S.230)
In allgemeinerem Sinne führt dieser Gedanke zu der Mutmaßung, daß Nachrichtenüberlastung oder Entscheidungsüberlastung einen ganz entscheidenden Faktor beim Zusammenbruch von Staaten und Regierungssystemen bilden kann... (a. a. O. S.231)


Zehntes Kapitel
Lernfähigkeit und Kreativität in der Politik


...Nach der Auffassung Toynbees ist die Weigerung einer Bevölkerung, ihre Herrscher nachzuahmen, auf die Unfähigkeit dieser Herrscher zurückzuführen, einer neuen >Herausforderung< (challenge) an Staat oder Gesellschaft eine wirksame neue Erwiderung (response) entgegenzustellen. Nach dieser Deutung wurden die griechischen Talbauern durch den Andrang räuberischer Hirten aus dem Bergland herausgefordert; sie >erwiderten< darauf mit der Erfindung der polis, des Stadtstaates. Später waren es die Athener, die sich der >malthusianischen Herausforderung< einer wachsenden Bevölkerungszahl auf dürftigem Ackerland gegenübersahen und als >Erwiderung< die Erfindung der >solonischen Revolution<, nämlich Ölbaumkultur und Fernhandel, einführten...(a. a. O. S.233)


Aber die Wirkung einer großen Einzelpersönlichkeit auf einen Staat kann heute bei dem Umfang auch schon kleinerer Staaten nicht mehr so unmittelbar sein wie im alten Athen. „Persönlichkeiten“ werden heute weitgehend als Trugbilder von den Medien aufgebaut.

Fernhandel
Die Anlagen des sozialen Lernens und ihre Struktur

... Die Wahrscheinlichkeit einer Neuerung und die Lernfähigkeit hängen... bis zu einem gewissen Grade vom Umfang der möglichen Neukombinationen aus einzelnen Informationselementen und materiellen internen Hilfsmitteln ab. In diesem Sinne ist die Lernfähigkeit einer Organisation davon abhängig, wie viele neue Kombinationen aus menschlichen Kenntnissen, Arbeitskräften und materiellen Anlagen in ihrem Innern zur Verfügung stehen. Die Vielfalt solcher Kombinationsmöglichkeiten wächst vermutlich mit der >Auflösungsleistung< des Systems, also in dem Maße, in dem Anlagen zur Informationsverarbeitung und Informationsspeicherung — und damit auch die Einzelteile, aus denen sich Kenntnisse zusammensetzen — in immer kleinere, voneinander unabhängige Elemente untergliedert werden können. (a. a. O. S.235)

Wenn eine Millionenherde von Affen auf einer Million Schreibmaschinen schreibt, so ergibt sich... ein Variationsbereich möglicher Buchstabenkombinationen, der auch die Gesammelten Werke William Shakespeares einschließt; aber die Wahrscheinlichkeit, daß auf diese Weise die entsprechenden Kombinationen innerhalb eines begrenzten Zeitraums gefunden werden können, ist unendlich klein. Jeder Lernprozeß, bei dem eine große Anzahl von beziehungslosen Einzelteilen zu neuen Kombinationen zusammengestellt wird, muß deshalb sehr langsam vor sich gehen und möglicherweise durch zusätzliche Auswahlkriterien, die nicht aus der Menge der zu kombinierenden Einzelteile selbst stammen können, unterstützt werden. Dem entspricht die Beschreibung, die D. O. Hebb vom >Lernprozeß der Kleinkinder< gegeben hat; das gleiche gilt für die vom gleichen Autor stammende Beschreibung des Erlernens visueller Orientierungsfähigkeit bei Personen, die ihr Augenlicht erst als Erwachsene Dank einer Hornhautoperation gewonnen haben. [D. O. Hebb: The Organization of Behavior. New York 1949, S.109-134] Davon unterscheidet Hebb den >Lernprozeß der Erwachsenen<. Dieser besteht seiner Ansicht nach darin, daß eine viel kleinere Anzahl von größeren Formationen, in denen Erinnerungen und Gewohnheiten gleichsam gebündelt sind, zu neuen Kombination zusammengefügt wird; das gleiche Prinzip gilt mutatis mutandis auch dann, wenn Formationen von materiellen Anlagen neu kombiniert werden. Der Lernprozeß der Kleinkinder gleicht nach dieser Auffassung dem Bau eines neuen Hauses aus einzelnen Ziegelsteinen, der Lernprozeß der Erwachsenen der Montage von Fertigbausteinen...(a. a. O. S.236)

Biotelie wäre demnach ein "Erwachsenenlernen", indem mit der Zielsetzung der dynamischen Stabilität und deren Aspekte Fertigteile vorgegeben wären, aus denen sich ein Haus jeweils recht schnell erbauen lässt. Aber da ein derartig erbautes Haus selten ist, kann eine Regierung nicht ohne "Kinderlernen" auskommen, d. h. ohne eine um Machtverhältnisse für Kompromisse ringende Politik.


Der Lernprozeß der Kinder ist langsamer, kennt aber vielfältigere Entwicklungsmöglichkeiten als der Lernprozeß der Erwachsenen; Dieser ist schneller, doch nur innerhalb der Grenzen, die der Kombinationsmöglichkeit größerer Formationen von vorneherein gesetzt sind. [D. O. Hebb, a. a. O.] (a. a. O. S.236)
Aus der Deutung ergeben sich drei neue Probleme: (1) ob sich ein optimaler Bereich zwischen dem >kindlichen< und dem >erwachsenen< Lernen gefunden werden kann; (2) ob verschiedene Stufen ein und derselben Organisation zwischen kindlichem und erwachsenem Lernen alternieren können; (3) ob strategische Interessenkriterien gefunden werden können, mit deren Hilfe es möglich wäre, erfolgversprechende Kombinationen aus dem großen Bereich des kindlichen Lernens auszuwählen und mit eher dem Lernprozeß der Erwachsenen entsprechenden Methoden intensiver weiterzuentwickeln...
Eine Lösung wäre optimal, wenn die entsprechenden Kombinationsmuster gleichzeitig gekennzeichnet sind durch einen hohen Grad an Vielseitigkeit und Originalität (und das heißt: Unwahrscheinlichkeit), schnelle Verfügbarkeit bei Auswahl und große Relevanz hinsichtlich der Herausforderungen<, die der Organisation von ihrer Umwelt entgegengestellt werden.

Zur Möglichkeit einer Messung des Lernprozesses und der Innovationsleistung
Der strukturelle Befund über eine gegebene Lernfähigkeit kann am empirischen Befund der beobachteten >Lernleistung< kontrolliert werden. Die Forschung könnte hier versuchen, die Konzeption einer >Lernkurve< auf das Verhalten von Organisationen, Industriezweige oder Länder anzuwenden... (a. a. O. S.237)

Die Registrierung der >Lernleistung< auf verschiedenen, aufeinanderfolgenden zeitlichen Stufen kann selbst wieder zur Grundlage einer Messung gemacht werden. Eine solche Messung zweiten Grades hätte einen Faktor zu messen, den Gregory Bateson als >sekundäres Lernen< (deutero-learning) einer Organisation bezeichnet hat. [G. B.: Social Planing and the Concept of >Deutero-Learning<. In: T.M. Newcomb und E. L. Hartley (Hrsg.): Readings in Social Psychology. New York 1947, S.121-128] Sekundäres Lernen ist ein Lernprozeß zweiten Grades; seine Messung würde bedeuten, daß die Schnelligkeit gemessen wird, mit der eine Organisation zu lernen lernt, das heißt die relative Geschwindigkeit, mit der sie ihre Leistung verbessert, wenn sie mit einer Reihe von verschiedenen Lernaufgaben konfrontiert wird....
War der Lernprozeß der Organisation kreativ, hat er die mögliche Reichweite ihrer Informationsaufnahme aus der Außenwelt und die mögliche Reichweite ihrer inneren Neuordnungsvorgänge erweitert? Oder war der Lernprozeß der Organisation bloß lebenserhaltend, hat er also die Kapazitäten, die der Organisation zum Lernen und zur Selbststeuerung zur Verfügung stehen, weder etwas hinzugefügt noch sie geschmälert? Oder war die Lernleistung pathologisch, hat also die Organisation etwas gelernt, wodurch die Fähigkeit, weiterhin zu lernen und ihr eigenes Verhalten zu steuern, vermindert worden ist? Wir haben schon einmal angedeutet, daß ein solches selbstzerstörerisches Lernen dem entspricht, was die Moralisten >Sünde< nennen. Vielleicht hatte Sokrates das im Sinne, als er lehrte, daß kein Mensch willentlich irre.


Der Bundestagsbeschluß vom 29. Juni 2012 mit dem der "Fiskalpakt" mit Zweidrittelmehrheit verabschiedet wurde scheint ein Beispiel pathologischen Lernens zu sein. Mit großem Stolz wurde gerühmt, daß auch abweichende Meinungen hätten dürfen vorgetragen werden. Aber auf deren Inhalt wurde in keiner Weise reagiert, Die vorgetragenen ernsthaften Gegengründe stand gar nicht zur Debatte. Mit der Flucht aus der Nationalität unter die Fittiche einer Regierung der EU-Kommissare wird der Mehrheit der mißwirtschaftenden europäischen Nationen das Recht zur Ausplünderung Deutschlands eingeräumt und mit der Aufgabe der Haushaltssouveränität das wesentlichste Stück der Demokratie ohne Not aus ideologischer Borniertheit aufgegeben.


Der Übergang vom >kindlichen< zum >erwachsenen< Lernen hat zumindest einen Zug ins Pathologische. In dem Maße, in dem Informationen oder materielle Hilfsmittel sich zu größeren Formationen verfestigen, Gewohnheiten und Routinehandlungen sich in wenigen regelmäßigen Bahnen eingraben, wächst die Geschwindigkeit und Wahrscheinlichkeit, mit der die Organisationen auf eine begrenzte Vielfalt von jeweils wahrscheinlichen oder aktuellen Reizwirkungen reagieren kann. (a. a. O. S.240,241) Diese offenkundige und beobachtbare Leistungssteigerung in Routineangelegenheiten hat jedoch ihren Preis: sie muß bezahlt werden mit einer Beschränkung der Vielfalt der verfügbaren Neukombinationen innerhalb der Organisation, also mit der Verringerung ihrer inneren Reserven an Originalität und Kreativität...
All dies kann zur Folge haben, daß der Bereich der zum Eintritt in die Organisation zugelassenen oder in ihr wahrscheinlich wirksam werdenden Informationen sich verengt. Die Organisation läuft dann gleichsam mit Scheuklappen, die sie sich selbst angelegt hat, und ein kumulativer Verlust an Sensibilität kann hinter der Fassade von scheinbar ständig reifer werdendem Verhalten in teilweiser Blindheit enden. Es scheint, daß dieser pathologische Aspekt im Lernprozeß der Erwachsenen den frühen Christen intuitiv geläufig gewesen ist. Ihre Aufforderung, die Menschen sollten >werden wie die Kinder<, muß die Jünger der platonischen Philosophie, die den Zustand der Reife und Vollkommenheit priesen, schockiert haben... (a. a. O. S.241)"


Es wird also deutlich, daß mit dem biotelen Entscheidungssystem weitgehend auch mehr "kindliches" Lernen in die Regierungspraxis eingeführt würde, Kreativität, die von einzelnen nachdenklichen und denkfähigen Bürgern ausgeht; der Anteil des >Erwachsenenlernens< liegt in der konservativen Bindung an die uralten und bewährten Erfahrungen mit den Begriffen, die in den Aspekten und in der Hauptzielsetzung überliefert wurden.

Der Abbau von festen Formationen, Gewohnheitsbahnen oder Routineverfahren kann also sowohl schöpferisch wie pathologisch sein. Er ist schöpferisch, wenn er einhergeht mit der Verbreitung grundlegender Hilfsmittel und folglich mit einer Ausweitung des Bereichs, aus dem möglicherweise neue Informationen und neue Kombinationen gewonnen werden können. Schöpferisch ist das Aufbrechen der verkrusteten Sitten und Gebräuche in einer Gesellschaft oder Organisation, wenn deren menschliche Einzelglieder dabei nicht nur aus alten Beschränkungen befreit, sondern zugleich zu einer besseren Kommunikation und Kooperation mit der Welt, in der sie leben, befähigt werden. Wo diese Bedingungen nicht erfüllt werden, da kann es sich um eine echte Regression handeln. Der Rückfall in die Barbarei bedeutet dann nicht allein den Verlust wertvoller Traditionen oder Routineverfahren, sondern jede relative Unfähigkeit zu reden und zu hören, die mit dem griechischen Wort barbaros ursprünglich gemeint war. (a. a. O. S.242)

Das Verhalten und die Auswirkungen der 1968er Kulturrevolutionäre muss wohlweitgehend als barbarisch eingestuft werden.


Programmaspirationen und prophetisches Führertum

Wenn eine echte oder vermeintliche Lösung zu einem neuen Problem von einem einzelnen oder von einer sozialen Gruppe entdeckt worden ist, so muß sie anderen Menschen oder Gruppen zugänglich gemacht werden, um Zustimmung und Unterstützung zu finden und schließlich zur Ausführung zu gelangen.... (a. a. O. S.243)
1. müssen die vorgeschlagenen Lösungen zumindest teilweise die Gewohnheiten, Präferenzen, Überzeugungen und vielleicht auch die sozial genormten Persönlichkeitsstrukturen ihrer Befürworter ausdrücken. Andernfalls würden sie von eben diesen Personen nicht und im Extremfall von überhaupt niemandem vorgeschlagen werden...
2. müssen die vorgeschlagenen Ideen oder politischen Programme eine geeignete Erwiderung auf Herausforderungen, mit denen Staat oder Gesellschaft konfrontiert sind, darstellen...
3. müssen die vorgeschlagenen Lösungen, um in der Praxis verwirklicht zu werden, nicht nur bei ihren eigentlichen Befürwortern und Förderern, sondern darüber hinaus bei einer genügend großen Zahl von Personen und Gruppen in der Gesellschaft genügend viel Anklang finden....

Dagegen gibt es für sehr ernste Herausforderungen, die das Funktionieren von Staat und Gesellschaft infrage stellen, unter Umständen nur solche Lösungen, die mit Hilfe der in der Gesellschaft vorhandenen normierten und allgemein anerkannten Erinnerungen, Gewohnheiten, Präferenzen und Kulturformen nur schwerlich entdeckt werden können. (a. a. O. S.244,245) Wenn solche Lösungen überhaupt rechtzeitig genug gefunden werden, um noch von politischer Bedeutung zu sein, dann vielleicht am ehesten von gewissen Außenseitern der Gesellschaft — von Personen also, deren Erinnerungen, Gewohnheiten oder Standpunkte sich wesentlich von ihrer sozialen oder kulturellen Umwelt unterscheiden und die, wenn sie sich mit neuen Ideen oder Verhaltensmustern identifizieren, weniger Gewohnheiten und Interessen opfern müssen als andere Leute...

Am Ende wird das neue Programm dann von den Mächtigen in Kraft gesetzt, die Ohnmächtigen aber bleiben ausgeschlossen, um sich entweder zu zerstreuen oder weiterhin das Leben einer Sekte zu fristen, die über die unvollkommene Verwirklichung ihrer Prinzipien klagt... (a. a. O. S.245)

Die bekannte Unterscheidung von >Programmaspirationen< und >Machtaspirationen< scheint in Situationen dieser Art ihre Bestätigung zu finden... (a. a. O. S.246)


Jegliches Abblocken von Vorschlägen und Maßnahmen, um die Unabhängigkeit der Urteilsabgabe im biotelen Gutachtenprozeß vor Einflußnahmen von Fremdinteressen und Korruption zu schützen, hebt das gesamte Verfahren als Steuerungsprozeß auf und muß möglichst rasch als Einbruch der Machtpolitik entlarvt werden. Auch die Beeinträchtigung bei der Erforschung wichtiger gesellschaftlicher Zusammenhaltsfaktoren und die Unterdrückung von deren Forschungsergebnissen gehören in diese Rubrik, wie eben überhaupt die Beeinträchtigung der öffentlichen Information über lebenswichtige Zusammenhänge.


Gleichwohl spürt man etwas vom Berufsrisiko des Propheten, wenn Toynbee erneut behauptet, daß jeder Schöpferakt eine >geheimnisvolle Handlung<, daß eine >Neuerung logisch nicht verstehbar< sei und daß >man Kausalzusammenhänge überhaupt leugnet, wenn man sagt, daß eine Ursache nicht immer die gleiche Wirkung haben muß<. {A. J. Toynbee: Reconsiderations (A Study of History, Bd.12), New York 1961, S.252,254,257]
Die letzte dieser drei Behauptungen ist schon seit längerer Zeit überholt, nämlich seitdem sich statt der deterministischen eine wahrscheinlichkeitstheoretische Denkweise durchgesetzt hat...(a. a. O. S.247)


Kommunikation und Zusammenhalt in Staaten und Föderationen

Viele Politikwissenschaftler neigen dazu, die bestehenden politischen Einheiten, Staaten, Nationen und Föderationen, als gegeben hinzunehmen. Es kommt aber auch vor, daß Staaten auseinanderbrechen; die Einwohner bestimmter Regionen, die Angehörigen bestimmter Nationalitäten, die Anhänger bestimmter politischer oder religiöser Glaubensüberzeugungen versuchten, aus dem politischen Verband auszubrechen, und es gelingt ihnen mitunter. In anderen Fällen versuchen bislang voneinander getrennte Staaten oder Völker, sich in einer Föderation oder in einer anderen Form der politischen Einheit zusammenzuschließen... (a. a. O. S.248)

Die Untersuchungsergebnisse bei all diesen Faktoren messen gleichsam die unsichtbare Kommunikationsausrüstung, die jeder Angehörige einer Bevölkerung in seinem Geist mit sich herumträgt. Daraus lassen sich dann Rückschlüsse ziehen, die nicht allein den Zusammenhalt eines schon bestehenden Volkskörpers oder die Zugehörigkeit einzelner Personen oder Gruppen zu diesem Volk betreffen, sondern auch Aufschluß darüber geben, ob ein Minimum an kultureller Verträglichkeit und gegenseitigem Verständnis vorhanden ist und ob dieses Minimum genügt, um mit Hilfe von gemeinsamen politischen und wirtschaftlichen Institutionen verschiedene Bevölkerungsteile in einem schrittweisen sozialen Lernprozeß zu einem Volk  oder zu einer Nation zu verschmelzen.
Die Bestandsaufnahme oder Messung der Kommunikationsgewohnheiten muß ergänzt werden durch eine Bestandsaufnahme oder Messung der tatsächlich erfahrenen Kommunikation. Wo sind Bevölkerungskonzentrationen, wie sehen die Siedlungsstrukturen aus, wie groß ist das Verkehrsvolumen, welche Bedeutung haben Bevölkerungsverschiebungen, wie sind Radiohörer und Zeitungsleser verteilt, mit welcher Häufigkeit und in welchem Umkreis spielen sich persönliche Kontakte ab?... (a. a. O. S.249)

Präferenzen, Autorität und Werte

In jedem Kommunikationssystem — von den allereinfachsten Systemen dieser Art einmal abgesehen — kann es vorkommen, daß mehrere Nachrichten um ein und denselben Kommunikationskanal konkurrieren, dessen Kapazität nicht ausreicht, um sie alle zur gleichen Zeit zu übertragen...
Kein Kommunikationssystem von auch nur geringer Komplexität kann deshalb ohne eine gewisse Anzahl von innerbetrieblichen Präferenzen oder Prioritäten funktionieren. Eine Telephonistin muß wissen, daß ein Anruf bei der Feuerwehr vorrangig vor jeder gewöhnlichen Unterhaltung abzufertigen ist...
Von einer Nachrichtenquelle, die in der Politik oder im sozialen Leben gewöhnlich eine vorrangige Behandlung erfährt, indem ihre Nachrichten bevorzugt beachtet, übermittelt und befolgt werden, kann man sagen, sie habe Autorität. Im Extremfall besteht Autorität im erfolgreichen Anspruch auf vorrangige Behandlung der Nachrichten, die von einer bestimmen Quelle ausgehen, wobei die eigentliche Natur dieser Quelle oder auch — wie im August 1945 im Falle  des Kaisers von Japan — der Inhalt keine Rolle spielt. Wieder in einem anderen Fall besteht Autorität im Anspruch auf vorrangige Behandlung von Nachrichten , die von einem bestimmten Autoritätssymbol — so etwa vom großen Reichssiegel im England des sechzehnten Jahrhunderts — begleitet werden, wobei wiederum der eigentliche Inhalt der Nachrichten keine Rolle spielt... (a. a. O. S.252,253) und in dem Maße, in dem eine Quelle von geringer Autorität oder mit geringem Status oder Prestige laufend Nachrichten aussendet, die den Empfängern wichtig und wertvoll erscheinen, werden diese lernen, den Nachrichten aus einer solchen Quelle mehr Beachtung zu schenken... (a. a. O. S.252)
In einem erweiterten Sinne wird unter >Wert< in der Sozialwissenschaft häufig eine innerbetriebliche Präferenz verstanden, die verknüpft ist mit anderen Präferenzen und mit den wichtigsten Erinnerungen und emotionalen Reaktionsmustern der Personen, die an diesem Wert festhalten. Werte in diesem erweiterten Sinne sind also letztlich wohl nichts anderes als wiederholt auftretende oder dauerhafte >Bündel< jener einfacheren innerbetrieblichen Präferenzen, die wir etwas weiter oben erwähnt haben. Welchen Wertbegriff wir uns auch zu eigen machen, es bleibt die Tatsache, daß in den Beziehungen der verschiedenen Werte zueinander und untereinander das entscheidende Problem liegt. Es ist unmöglich, die Funktion eines einzelnen Wertes zu verstehen, außer eben dadurch, daß man ihn im Zusammenhang sieht mit anderen Werten, die für ihn relevant sein können. Wie Worte nur einen Sinn im Gefüge der Sprache haben, so kann man die Funktion eines Wertes nur im Hinblick auf ein Wertgefüge beschreiben... (a. a. O. S.253)

 

Diese Aussage trifft auch für die dynamische Stabilität und deren Aspekte zu.

 

Elftes Kapitel
Der Regierungsprozeß als Steuerungsvorgang

Man wird sich erinnern, daß das englische Wort für >Regierung<, government, auf ein griechisches Stammwort zurückgeht, das die Kunst des Steuermanns bezeichnet. Der gleiche Begriff liegt auch dem neu-englischen Wort governor zugrunde, das eine Doppelbedeutung hat und einmal einen >Regierenden< bezeichnet, also einen Menschen, der die administrative Lenkung eines politischen Gemeinwesens ausübt, und zum anderen den >Fliehkraftregler<, also eine mechanische Vorrichtung, welche die Leistung einer Dampfmaschine oder eines Automobils steuert... (a. a. O. S.255)
Ich behaupte nun, daß die Arbeitsweise einiger neuerer Kommunikationsmaschinen genau der Arbeitsweise des lebenden Individuums entspricht. In beiden Systemen beruht eine Phase des Arbeitskreislaufs auf sensorischen Empfangsorganen, das heißt in beiden ist eine besondere Vorrichtung vorhanden, die Informationen aus der Außenwelt auf niedriger Energieebene sammelt und für die Tätigkeit des Menschen oder der Maschine verfügbar macht. In beiden Fällen werden diese von außen kommenden Nachrichten nicht unvermittelt, sondern durch die umformenden inneren Kräfte des lebenden oder leblosen Apparates aufgenommen und in eine neue Form gebracht, in der sie für die weiteren Phasen des Arbeitsablaufs benutzbar sind. Sowohl beim Lebewesen wie bei der Maschine ist dieser Arbeitsablauf dazu bestimmt, auf die Außenwelt zurückzuwirken. Bei beiden wird die auf die Außenwelt wirklich ausgeübte und nicht einfach die beabsichtigte Tätigkeit  an die zentrale Steuerungseinrichtung zurückgemeldet...


Zielstrebiges Verhalten: Einige Anwendungen der negativen Rückkopplung

Wie wir wissen, hat die moderne Steuerungstechnik unser Leben bereits mit allen möglichen Anwendungsarten des Rückkopplungsprinzips erfüllt. Der Thermostat in unserer Wohnung, der selbsttätige Aufzug im Verwaltungsgebäude, die automatische Feuerleitanlage in Flakbatterien und die neuerdings entwickelten Fernlenkwaffen sind Anwendungsformen dieses Prinzips. (a. a. O. S.256)
In allen diesen Fällen wird zunächst ein elektrisches oder mechanisches System in einen Zustand inneren Ungleichgewichts gebracht. Dieses kräftige Ungleichgewicht dient als Antrieb, und zwar insofern, als das System die Tendenz hat, sich in Richtung eines Zustands zu bewegen, in dem das innere Ungleichgewicht verringert oder, freier ausgedrückt, in dem die innere >Spannung< gemildert wird. Das innere Ungleichgewicht muß übrigens von besonderer Art sein: es muß so beschaffen sein, daß es sich verringert, sobald das Gesamtsystem in eine bestimmte Situation oder Beziehung gegenüber der Außenwelt gebracht wird. Diese Situation des Systems gegenüber der Außenwelt können wir als Zielsituation oder einfach als Ziel bezeichnen...
Zweitens muß das System, um die Annäherung an sein Ziel leiten zu können, eine Rückkopplung aufweisen. Es muß Informationen empfangen, aus denen die Position des Ziels und seine eigene Entfernung vom Ziel ersichtlich wird; und es muß Informationen empfangen, in denen angezeigt wird, wie sich die Entfernung vom Ziel dank der Eigenleistung des Systems verändert. Solche Nachrichten sind meist negativ, das heißt sie wirken den laufenden Handlungen des Systems entgegen, um zu verhindern, daß die Bewegung über das Ziel hinausschießt
Drittens muß das System in der Lage sein, auf diese Information erst zu reagieren, indem es seine Position oder sein Verhalten abermals korrigiert. Mit diesen Anlagen wird das System, sofern man ihm genügend freien Spielraum läßt, sich allmählich seinem Ziel annähern.
Viertens werden die Antriebskräfte oder inneren Spannungen des Systems teilweise vermindert, sobald die Korrekturen in Kraft getreten sind und das System sein Ziel erreicht hat.
Wie wir schon früher gesehen haben, besteht eine offenkundige Ähnlichkeit zwischen diesen Einzelschritten zielstrebigen Verhaltens und Begriffen wie >Antrieb<, >Anstoß<, >Reaktion< und >Belohnung<, die aus der Psychologie des Lernens geläufig sind.
Ähnliche Verhaltensmuster findet man auch in der Leistung des Nervensystems bei Tieren und Menschen. Auf Rückkopplungsvorgängen scheint der eigentliche Mechanismus der Homöostase zu beruhen. Durch Homöostase werden bestimmte lebenswichtige Zustände oder Funktionen aller Organismen (zum Beispiel die Körpertemperatur oder die Atmungsgeschwindigkeit) auf einer gleichmäßigen Höhe gehalten. Die Erhaltung gleichmäßiger Zustände und das Aufsuchen und Ansteuern äußerer Ziele werden also im wesentlichen von ein und derselben Formation zusammenhängender Vorgänge bewirkt... (a. a. O. S.257,258)

Regierungen oder politische Organisationen streben nicht nur nach Zielen, sie versuchen auch häufig, einen allgemeinen Zustand zu bewahren, der ihnen wünschenswert erscheint, also zum Beispiel eine Hochkonjunktur im Wirtschaftsleben oder eine ungestörte Ruhelage in der Politik. Sie müssen, um dies erfolgreich tun zu können, ständig Informationen über das Ausmaß und den zeitlichen Ablauf aller Störungen empfangen und die Größenordnung und Schnelligkeit ihrer Gegenmaßnahmen entsprechend abstimmen...


Das Rückkopplungsprinzip als Alternative zum Gleichgewichtsprinzip

In seiner Anwendung auf den Bereich der Politik eröffnet uns der Begriff der Rückkopplung einen differenzierteren methodischen Zugang als der traditionelle mechanistische Begriff des Gleichgewichts. Er erschließt uns auch einen viel weiteren Bereich zur Analyse und Messung. (a. a. O. S.258,259)

Wenn die Störungen zu groß werden, können wir uns allenfalls vorstellen, daß das System irgendwie umgestürzt oder zerstört wird, aber abgesehen von vagen Andeutungen einer Katastrophe gibt uns der Gleichgewichtsbegriff wenig oder gar keinen Aufschluß darüber, was denn von nun an geschehen wird. Kurz gesagt, das Gleichgewichtsmodell ist nicht in der Lage, einen wichtigen Bereich von dynamischen Erscheinungen zu erfassen. Es kennt keinen zeitlichen Ablauf grundlegender Veränderungen.... (a. a. O. S.259)

Auf den ersten Blick mag der Vorgang des zielstrebigen Verhaltens, den wir oben beschrieben haben, dem Vorgang gleichen, durch den ein einfaches Gleichgewicht wieder hergestellt wird. Tatsächlich unterscheiden sich diese Vorgänge jedoch zumindest in vierfacher Hinsicht. Zunächst und vor allem liegt bei jedem Rückkopplungsprozeß die angestrebte Zielsituation nicht innerhalb, sondern außerhalb des zielstrebigen Systems. Zweitens ist das System nicht von seiner Umwelt isoliert, sondern es ist vielmehr darauf angewiesen, einen ständigen Zustrom von Informationen aus seiner Umwelt zu beziehen und damit den ständigen Strom von Informationen über seine eigene Leistung zu ergänzen. Drittens kann das Ziel ein sich veränderndes Ziel sein. Es kann seine Position verändern wie beispielsweise ein Vogel oder ein Flugzeug, und es kann auch noch seine Geschwindigkeit und Bewegungsrichtung ändern wie etwa ein Hase, der von einem Hund verfolgt wird. (a. a. O. S.260)

...In der Politik ist es das Problem, wie ein strategischer Zweck durch eine Reihe von veränderlichen taktischen Zielen hindurch unverändert beibehalten werden kann...
Wenn die Zahl der Fehlleistungen zu- anstatt abnimmt, wird das System sein Ziel überhaupt nicht erreichen. Es wird in eine Folge von immer weiter ausschwingenden Pendelbewegungen verfallen und am Ende womöglich ganz zusammenbrechen. Ob das geschieht oder ob es dem System gelingt, sich dem Ziel über eine Reihe von immer geringer werdenden Fehlleistungen anzunähern, hängt ab von den wechselseitigen Beziehungen zwischen vier quantitativen Faktoren...
1. Die >Belastung< (load) durch neue Informationen, das heißt durch das Ausmaß und die Geschwindigkeit der Positionsveränderung des Zieles im Verhältnis zum zielstrebigen System....
2. Die >Verzögerung< (lag) in der Reaktion des Systems, das heißt der Zeitraum, der vom Empfang der Information, welche die Position des Ziels anzeigt, bis zur Ausführung des entsprechenden Schrittes im zielstrebigen Verhalten des Systems verstreicht... (a. a. O. S.261,262)
3. Der >Gewinn< (gain), der durch jeden korrigierenden Schritt erzielt wird..
4. Die >Führung< (lead), das heißt die Entfernung zwischen der exakt vorausberechneten Position des beweglichen Ziels und der tatsächlichen Position, von der die zuletzt empfangenen Signale kommen. Dementsprechend >führen< Sportschützen beim Zielen auf fliegende Wildenten oder Tontauben mit einem >Vorhalt<, das heißt sie schießen auf die vorausberechnete und nicht auf die tatsächlich wahrgenommene Position des Zielobjekte.... (a. a. O. S.262)

Die Erfolgschancen jeder zielstrebigen Aktion sind... stets umgekehrt proportional zur Belastung und Verzögerung. Bis zu einem gewissen Grad sind sie zum Gewinn direkt proportional, doch kann sich das Verhältnis bei hoher Gewinnrate auch umkehren. Zur Führung sind sie stets direkt proportional. [vgl. W. S .McCulloch...]...

1. Wie groß ist das Ausmaß und die relative Geschwindigkeit des Wandels der internationalen und innenpolitischen Situation, mit der eine Regierung fertig werden muß?...

2. Wie groß ist die Verzögerung, mit der eine Regierung oder Partei auf eine neuartige Krisensituation oder Herausforderung  antwortet?...(a. a. O. S.263)

Wenn Armeen und totalitäre Regierungen ihre Verzögerungsrate durch eine rasche Befehlsübermittlung von oben nach unten vermindern können, bis zu welchem Grad geht dann dieser Vorteil wieder verloren und wie weit erhöht sich vielmehr das Ausmaß der Verzögerung dadurch, daß in solchen Systemen Schwierigkeiten bei der Weiterleitung neuer Inforationen von unten nach oben auftreten können?...

3. Wie groß ist der Gewinn der Erwiderung, also die Schnelligkeit und Größenordnung der Reaktion, mit der ein politisches System auf neu aufgenommene Daten reagiert?... (a. a. O. S.264)

4. Wie groß ist das Ausmaß der Führung, also der Fähigkeit einer Regierung, neue Probleme wirksam vorauszusehen und ihnen zuvorzukommen? In welchem Ausmaß versuchen die Regierungen, ihre Führungsgeschwindigkeit zu erhöhen, indem sie besondere Nachrichtendienst, Führungs- und Planungsstäbe und ähnliche Einrichtungen schaffen? Welche Wirkung hat die freie Öffentlliche Diskussion, bei der auch die Freiheit einer unorthodoxen Meinungsäußerungen gewahrt ist...?...

Da der Faktor Gewinn mit dem Faktor Macht zusammenhängt, müssen Regierungen oder Organisationen mit wenig Macht bemüht sein, ihre geringe Gewinnrate durch Steigerung ihrer Voraussicht und Reaktionsgeschwindigkeit zu kompensieren, das heißt ihre Verzögerung zu vermindern und ihre Führung zu verbessern. Großmächte dagegen werden mit einer Situation häufig schon dank der Größenordnung ihres Reaktionsvermögens fertig, obwohl die Reaktionen selbst vielleicht schwerfällig erfolgen und ihre Voraussicht zu wünschen übrig läßt... (a. a. O. S.265)

Dies spricht im Hinblick auf ein forciert angestrebtes Vereinigtes Europa als Zentralstaat nicht gerade für eine Verbesserung der Lösungsmöglichkeiten der Finanzkrise durch die Eurobürokratie. Es wird nämlich eine Einheit vorausgesetzt, die noch gar nicht vorhanden ist.


Wenn auch die Bewertung politischer Systeme als Steuerungssysteme technisch durchaus möglich ist, so wäre sie doch recht einseitig. Sowohl Perikles als auch John Stuart Mill könnten uns daran erinnern, daß man Staaten nicht einfach nach ihrer Funktionstüchtigkeit als Staaten beurteilen soll, sondern vielmehr nach der Beschaffenheit der Persönlichkeiten und Charaktere, die sie in den Reihen ihrer Bürger hervorbringen, und nach den Gelegenheiten, die sie allen ihren Bürgern zur Entfaltung ihrer Individualität gewähren...
Noch ein Wort der Warnung sei hinzugefügt. Wir haben in unseren Erörterungen nur von Zielen und nicht von Zielvorstellungen gesprochen. Ziele haben wir stets im Zusammenhang mit der tatsächlichen Beschaffenheit der Steuerungs- und Entscheidungssysteme und ihrer Umwelt gesehen.... (a. a. O. S.266)
Die tatsächlich verfolgten Ziele können natürlich identisch sein mit Zielen, die manche oder alle Beteiligten in ihren Vorstellungen haben, aber das muß nicht notwendigerweise der Fall sein. Wenn die Vorstellungen, in denen jemand seine Ziele ausmalt, sich von dem Vorgang unterscheiden, durch den Ziele tatsächlich angestrebt werden, dann kann die Information, die aus solchen Vorstellungen entsteht, in einem Rückkopplungsprozeß wieder in den Steuerungsmechanismus geleitet werden und dessen Leistung beeinflussen...


Automatische Reaktionssteigerung: Einige Anwendungsformen der verstärkenden Rückkopplung


Wir haben bisher nur über Erscheinungsformen der negativen Rückkopplung geredet... In anderen Situationen können wir jedoch auch einer positiven oder verstärkenden Rückkopplung begegnen. Bei der verstärkenden Rückkopplung bewirkt jede Information über die Reaktion des Systems eine Verstärkung dieser Reaktion in der gleichen Richtung, und jede Information über die verstärkte Reaktion kann wieder eine weitere Verstärkung dieses Verhaltens zur Folge haben. Die Panik einer Menschenmenge, eine Panik an der Börse, gewisse Fälle einer galoppierenden Inflation, jedes Rüstungswettrennen, die Verstärkung bitterer Gefühle in einer gespaltenen Gemeinschaft — all dies sind Beispiele einer verstärkenden Rückkopplung im sozialen und politischen Leben... (a. a. O. S.267)

Wenn hingegen die laufende Verstärkung eine fallende Tendenz zeigt, also im ganzen gesehen, jeder neue Verstärkungsimpuls kleiner als der vorangegangene ausfällt, dann wird die Gesamtverstärkung sich schließlich einem oberen Grenzwert nähern, der noch innerhalb der Kapazität des Systems liegen kann...(a. a. O. S. 268)
Als Präsident Kennedy im März 1962 ankündigte, daß die Vereinigten Staaten die abgelaufene Serie der russischen Kernwaffenversuche in der Atmosphäre mit einer eigenen, kleineren Serie solcher Versuche beantworten würden, wenn es nicht binnen kurzer Zeit zu einer Einigung über einen Atomteststopp kommen würde, handelte es sich vielleicht um den Versuch, in einer Situation mit verstärkender Rückkopplung, wie ihn das nukleare Wettrüsten darstellt, eine solche Taktik der >kleineren Vergeltung< oder abnehmenden Steigerungsquote zu praktizieren.
[The New York Times, 3. März 1962, S.1f.] (a. a. O. S.269)

Kontinuierliche Entscheidungssysteme: Einige Begleiterscheinungen der zieländernden Rückkopplung. (a. a. O. S.270)

Ein spezifisch politisches Problem ergibt sich, wenn ein strategisches Hauptziel nur auf dem Umweg über eine Reihe von taktischen Zwischenzielen zu erreichen ist. Nach Adolf Hitlers Auffassung der Massenpsychologie besteht in solchen Fällen die Kunst der Massenführung in der Fähigkeit, jedes Zwischenziel als das endgültige Ziel erscheinen zu lassen und die Anhängerschaft davon zu überzeugen, daß alles von ihrer Anstrengung abhängt, dieses Kampfziel hier und sofort und ohne Rücksicht auf alles andere einzunehmen. Nur Endziele sind nach dieser Auffassung geeignet, große Menschenmengen zur uneingeschränkten Mobilisierung aller ihrer Reserven zu bewegen. Trotz heftiger Ablehnung der anderen Theorien Hitlers hat sich die kommunistische Agitation oft eines ähnlichen Verfahrens bedient: jedes einzelne und vorübergehende Ziel wird zeitweise als Endzweck aller politischen Tätigkeit hingestellt, bis ein neues Ziel an seine Stelle tritt....

Trotz ihrer gelegentlich erwiesenen Zweckmäßigkeit ist eine solche >aufs Ganze< gehende Taktik mit schwerwiegenden politischen Kosten belastet. Thukydides hat schon frühzeitig auf einen .dieser Nachteile hingewiesen: wenn jedes taktische Ziel als äußerst wichtig, ja als das Endziel schlechthin dargestellt wird, dann wird jede abweichende Meinung über taktische Folgen zum Hochverrat. Da zudem die mit der größten Bedenkenlosigkeit gewählten Ziele am leichtesten als Endziele oder als dem Sieg gleichwertig hingestellt werden können, erscheinen die bedenkenlosesten Taktiken leicht als die zugkräftigsten; da sie geeignet sind, in größerem Ausmaß Meinungsverschiedenheiten hervorzurufen, liefern sie zugleich einen ausgezeichneten Vorwand für die >Säuberungen< Andersdenkender... (a. a. O. S.272)

Eine solche >Vergötzung von vergänglichen Zielen< — um noch einmal eine Formulierung Arnold Toynbees aufzugreifen — bewirkt nicht nur einen enormen Personalverschleiß, sie hat auch eine eigentümliche Auswirkung auf die Kategorie von Personen die einer Partei oder Regierung ungeachtet ihrer Taktiken treu bleiben. Einerseits wird es immer eine mehr oder weniger große Zahl von nimmermüden Aktivisten geben, die jede Schwenkung ohne Frage akzeptieren und sich jedem Ziel, solange es gilt, mit Haut und Haar verschreiben. Andererseits muß irgend jemand die Funktionen der strategischen Planung, der Auswahl einer Reihe von taktischen Zielen und der Bestimmung des richtigen Zeitpunkts für jede Schwenkung von einem Ziel zum andern ausüben. Da viele bedingungslose Aktivisten psychologisch allmählich ungeeignet zur Bewältigung dieser zweiten Gruppe von Aufgaben werden, kann sich die Notwendigkeit ergeben, eine neue Struktur zu entwickeln, die diese Funktion zu übernehmen vermag: einen neuen >inneren Kreis< von Parteistrategen und Eingeweihten, die einen Teil ihrer Aufmerksamkeit auf Sachverhalte konzentrieren, welche mit der aktuellen politischen Gesamtlinie unvereinbar sind, und die untereinander einen Teil der Überlegungen und Beratungen austragen, welche für jede neue Schwenkung der politischen Linie unerläßlich ist.
Parallelerscheinungen zu dieser funktionalen Aufspaltung treten sogar in Geschäftsunternehmungen auf... vom Typ >Pfadfinder< oder >fleißiger Biber< ... (a. a. O. S.274)

Die meisten Bestandteile unserer Analyse müßten der Forschung zugänglich sein. Wie tiefgreifend war die Änderung der Ziele oder der politischen Linie, wie viele Menschen wurden davon erfaßt, in wie kurzer Zeit, mit welchen Konsequenzen? Wie deutlich ist die Spaltung zwischen der Masse der Außenstehenden und dem inneren Kreis der >Eingeweihten< in einer bestimmten politischen Partei oder Regierung?... (a. a. O. S.275)

Eine letzte Erscheinungsform der zieländernden Rückkopplung ergibt sich, wenn Ziele von Grund auf verändert werden. Eine Organisation hat bisher eine bestimmte Art von Zielen verfolgt und wendet sich dann einer ganz anderen Art von Zielen zu. So lenkte das schwedische politische System vom Streben nach militärischer Macht im siebten Jahrhundert zum Streben nach Neutralität und sozialer Wohlfahrt im zwanzigsten Jahrhundert um... wo ein solcher Wandel sich in einem kurzen Zeitraum zusammendrängt, begegnen wir einer Renaissance, Reformation, Revolution oder Konversion. Alle diese Erscheinungen bringen wesentliche Veränderungen der Gesamtfunktion und des Gesamtverhaltens sowie eine wesentliche strukturelle Neuordnung des Gesellschaftskörpers mit sich... (a. a. O. S.276)


Zwölftes Kapitel
Politisches Selbstbewußtsein, Autonomie und Souveränität


Wir haben schon weiter oben bemerkt, daß Zielvorstelllungen in einem zielstrebigen System gespeichert werden und als gespeicherte Informationen im späteren Verhalten des Systems Verwendung finden können... Als primäre Nachrichten gelten Nachrichten, die sich auf Ereignisse außerhalb des Systems beziehen; als sekundäre Nachrichten gelten solche, die sich auf primäre oder auf andere sekundäre Nachtrichten beziehen, was in beliebig weit zurückreichenden Abstufungen denkbar ist. Mit Hilfe einer primären Nachricht kann ein Entscheidungssystem etwas über einen äußeren Sachverhalt >wissen<; durch sekundäre Nachrichten >weiß< es, daß es etwas >weiß<. Das war nach unserer Auffassung das wohl einfachste Modell dessen, was wir >Bewußtsein< nennen.

Sekundäre Symbole in Organisationen
(a. a. O. S. S.277)

Die vielleicht wichtigste Funktion sekundärer Symbole ist es, eine Entscheidungsbildung auf der Grundlage großer Informationsmengen zu ermöglichen. Die Kapazität jedes informationsverarbeitenden Systems ist begrenzt; das gilt vom menschlichen Gehirn genauso wie für jeden Ausschuß und für jeden Elektronenrechner... (a. a. O. S.278)

In einem etwas weiter gefaßten Sinne können wir Bewußtsein auch auf den Gesamtprozeß der Ableitung und Anwendung von sekundären Symbolen in einem Entscheidungssystem ausdehnen. Dieser Prozeß reicht von der ersten Verknüpfung primärer Nachtrichten mit sekundären Symbolen über deren Zusammenschau und erneuten Verknüpfung auf den höchsten Entscheidungsebenen bis hin zur erneuten Anwendung im praktischen Handeln. In diesem Sinne ist Bewußtsein die Gesamtheit der Rückkopplungsprozesse, die sekundäre Symbole zum Gegenstand haben.
Das Bewußtsein ermöglicht eine hohe Präzision beim Steuern... (a. a. O. S.279)
Die Kontrolle über die sozialen Institutionen der Massenkommunikation und allgemein über die Speicherung und Weiterleitung von Informationen ist offen kundig ein Hauptbestandteil der Macht.
Weniger offenkundig, aber wohl nicht weniger zutreffend ist, daß die potentielle Macht, die aus den Rückkopplungsprozessen des sozialen Bewußtseins erwächst, nicht allein von der Größenordnung der informationsverbreitenden Institution (etwa einer Tageszeitung mit Millionenauflage) abhängt, sondern zuweilen noch in viel entscheidenderem Maße vom Grad der Verdichtung der primären Daten und von der strategischen Position der Kontrollstelle an einem Punkt, wo sich der Strom der sekundären Informationen wie in einem Flaschenhals zusammendrängt
Die gewaltige Menge potentieller historischer Fakten wirft ein solches Flaschenhalsproblem auf, und wenn man schon der Meinung ist, daß die Vergangenheit einer Nation in den aktuellen politischen Entscheidungen eine Rolle spielt, dann kann eine kleine Anzahl von Historikern tatsächlich einen langfristigen Einfluß von überraschender Tragweite ausüben. Damit soll nicht gesagt sein, daß allein die Historiker den Nimbus Napoleons in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts wieder hergestellt hätten, oder daß Historiker und Journalisten allein hoffen könnten, irgendwann in der Zukunft auch den Nimbus Adolf Hitlers wiederherzustellen. (a. a. O. S.280,281)

...In wieweit unterscheiden sich... Bewußtsein, Situationsvorstellungen und Entscheidungen eines Ausschusses. eines Expertenstabes oder einer Organisation von denen eines einzelnen Menschen? Inwieweit ist es also möglich, daß sich das >Denken< der einen oder anderen Regierung vom Denken der einzelnen Menschen, aus denen sie sich zusammensetzt, unterscheidet?
Und schließlich, welche Verwendung finden die sekundären Daten und die >bei Bewußtsein< gefällten Entscheidungen? Verzögern sie die primäre Reaktion der Organisation so sehr, daß diese, >von des Gedankens Blässe angekränkelt... verlieren so der Handlung Namen<? Erfolgen sie zu spät oder mit ungenügender Autorität, um das tatsächliche Verhalten der Organisation zu beeinflussen, so daß Personen, die ein realistisches Bewußtsein der wahren Situation haben, hilflos zusehen müssen wie Kassandra dem Fall Trojas?...
Mehr noch als auf verschiedenen anderen Gebieten werden wir hier weiterhin auf intuitive Einsicht und Scharfsinn angewiesen sein, doch könnten wir mit Hilfe der Kommunikationsanalyse seines Tages lernen, diese Einsichten in einer Weise zu organisieren, die es uns ermöglicht, sie häufiger zu vergleichen und zu verifizieren... (a. a. O. S.282)


Autonome Organisationen und ihre Grenzen

..Die Grenzen einer autonomen Organisation kann man sich als ein Kommunikationsgefälle vorstellen: Zwischen den Angehörigen oder den Teilen einer Organisation besteht schnellere und wirksamere Kommunikation als mit Außenseitern...

Ob allerdings ... eine Organisation auch einen funktionalen und operativen Zusammenhalt aufweist, hängt viel mehr von der Leistungsfähigkeit der inneren Kommunikationsvorgänge ab. Wenn diese schwach entwickelt sind, deutet die Tatsache, daß jene noch schwächer sind, eher auf Isoliertheit als auf Lebensfähigkeit hin. Jeder Versuch, die besondere Identität einer Organisation, Gruppe, Partei oder eines Volkes durch verminderten Informationsaustausch mit Nichtmitgliedern statt durch erhöhten Informationsaustausch zwischen den Mitgliedern zu stärken, mag zwar an der Oberfläche erfolgreich sein, kann sich aber letztlich als falscher Lösungsversuch am falschen Ende des Problems erweisen... (a. a. O. S.283)

Wie seine physische Form im einzelnen auch aussehen mag, ein Gedächtnis oder Speicher ist für die Ausübung jeder Autonomie über einen längeren Zeitraum hinweg unerläßlich. Tatsächlich können wir Autonomie, die über die Ebene der einfachen Rückkopplung hinausgeht, als einen Prozeß definieren, bei dem aus irgendeinem Speicher (und damit aus der Vergangenheit) entnommene Daten in die aktuelle Entscheidungsbildung einbezogen werden.
Autonomie ist nach dieser Auffassung auf den Ausgleich zweier Rückkopplungsströme angewiesen: der eine vermittelt Daten über das gegenwärtige Verhalten des Systems in seiner Umwelt, der andere vermittelt Daten über die Vergangenheit des Systems in Form von Symbolen, die als Erinnerung aus seinem Speicher entnommen werden.
>Freiheit<, sagte Jean-Jacques Rousseau einmal, >ist Gehorsam gegenüber dem Gesetz, das wir uns selbst gegeben haben<. Das >Wir< in dieser Feststellung, wie überhaupt die Idee der Selbstherrschaft, die den Worten Rousseaus zugrunde liegt, setzt als wesentliches Element ein Gedächtnis voraus: ohne Gedächtnis könnte das selbst auferlegte Gesetz weder formuliert noch erinnert werden. Ohne Tradition und Gedächtnis wird jede Organisation, die sich selbst steuern will, leicht in Gefahr geraten, im Strom der Umwelt dahinzutreiben. Ohne Aufnahmebereitschaft für neue Informationen aus ihrer Umwelt aber wird jede selbststeuernde Organisation leicht in Gefahr geraten, die Kontrolle über sich selbst zu verlieren und sich wie ein Geschoß, das allein von seiner Vergangenheit angetrieben wird, zu verhalten.... (a. a. O. S.284)

Wenn jedoch die regionale Kommunikation in einem kritischen Ausmaß die Kommunikation mit dem ganzen übersteigt, kann sich das letztlich nur trennend auswirken. Die Entwicklung getrennter Erinnerungen und getrennter Speicheranlagen, getrennter Regelkreise der Kommunikation und ähnliche Erscheinungen signalisieren einen fortschreitenden Sezessionsprozeß. Aber auch die entgegengesetzte Entwicklung, also der Vorgang der politischen und organisatorischen Integration, kann an dem sich verringernden Kommunikationsgefälle zwischen den fusionierenden Einheiten und an der Entwicklung gemeinsamer Speicheranlagen, Kommunikationskanäle und Steuerungssysteme verfolgt werden...
Tatsächlich kann Politik als Kooperation und Konflikt zwischen solchen autonomen oder halbautonomen Gruppen verstanden werden. Die weitverbreitete Vorstellung vom politischen Prozeß als einem Drängen, Ziehen und Zusammenstoßen von Interessengruppen ist geeignet, diesen Aspekt der Autonomie allzu leicht außer Acht zu lassen; sie kann deshalb auch nicht die merkwürdige Tatsache erklären, daß es zwischen all den verschiedenen Gruppen nicht mehr erbitterte Konflikte gibt, als in der Wirklichkeit zu beobachten sind... (a. a. O. S.285)

Anstatt einfach nach einer >starken Zentralgewalt< zu rufen — einer Gewalt übrigens, die sich in gewissen innerpolitischen Konflikten als recht unsicher erweisen kann und in der internationalen Politik überhaupt nicht existiert —, wäre es angemessener zu fragen, wie viel zentrale Autorität in Verbindung mit welcher Anordnung autonomer Organisationen mit welchem Leistungsgrad der Selbststeuerung nötig wäre, um die Häufigkeit und Intensität von Gruppenkonflikten unter einer für das ganze System gefährlichen Höhe zu halten.
Eine Analyse von Gruppen mit >Programmaspirationen< und Gruppen mit >Machtaspirationen< könnte unter diesem Gesichtspunkt ergänzt werden, indem man deren Steuerungskapazität und Steuerleistung in Betracht zöge...
Die Fähigkeit politischer Systeme, individuelle Freiheiten und die Neigung zur Innovation mit innerem Frieden und Stabilität zu vereinen, dürfte mit den Antworten auf solche Fragen zusammenhängen. (a. a. O. S.286)

In der Theorie der Souveränität gibt es keine Organisationen und auch keine Präferenzen oder Werte, die sich von außen her in die Arbeit des Systems einmischen dürfen, um die Wahrscheinlichkeiten der inneren Entscheidungsbildung zu beeinflussen..
Schließlich bedeutet die an einer einzigen Stelle erfolgende Konzentration aller Entscheidungen, die andere Entscheidungen aufheben können, daß innerhalb der umfassenden politischen Organisation kein autonomes Teilsystem zugelassen ist, jedenfalls keines, das genügend autonom wäre, um die an der Spitze getroffenen Entscheidungen zu modifizieren oder sich über sie hinwegzusetzen. (a. a. O. S.287.288)
Diese Organisationsprinzipien sind in den absoluten Monarchien Europas von den Tagen Machiavellis bis zu Friedrich von Preußen praktiziert worden und bilden weitgehend auch das Erbe des modernen unitarischen Staates.... (a. a. O. S.288)

Eine Überschätzung der Entscheidungskonzentration an einer einzigen Stelle ist geeignet, auch einer Überschätzung der Wichtigkeit einzelner Ämter oder Personen Vorschub zu leisten....
Eine realistische Einschätzung der tatsächlichen Situation ist nur möglich durch sorgfältige Auslotung der Verteilung und Anordnung von Entscheidungsstellen, des Ausmaßes ihrer gegenseitigen Abhängigkeiten und Kontrolle und des Vorrats oder Mangels an Reserveanlagen, welche die Funktionen der vorübergehend außer Betrieb gesetzten oder zerstörten Entscheidungsstellen und entscheidungsbildenden Systemteile übernehmen könnten...(a. a. O. S.289)

Die Milchmädchenrechnung mit der konzentrierten Souveränität kann in der internationalen Politik noch weniger aufgehen. Die einseitige Orientierung an der Souveränität ist geeignet, von der Tatsache abzulenken, daß die Entscheidungen auch der mächtigsten Nationen sehr reale Grenzen haben. Kein Staat ist allmächtig oder verfügt über unbegrenzte Hilfsmittel, und keine Regierung kann ihrem Volk unbegrenzte Opfer auferlegen.... (a. a. O. S.290)

Wirkungsvolles Verhalten seitens einer autonomen Organisation setzt voraus, daß diese innerhalb ihrer Aktions- und Überlebensgrenzen bleibt, also ihren Grenzwahrscheinlichkeiten durch die Berücksichtigung von Grenzsignalen und Grenzvorstellungen genügt. Souveräne Staaten stehen in dieser Hinsicht der gleichen Aufgabe wie andere autonome Organisationen gegenüber, aber sie werden mit ihr nicht so leicht fertig. (a. a. O. S.290,291) Obwohl ihr Verhalten den gegebenen Grenzen und Grenzwahrscheinlichkeiten unterworfen ist, und sie im allgemeinen einige Grenzsignale empfangen, kennen souveräne Staaten in der Regel keine Grenzvorstellungen. Sie lehren ihre Bürger und häufig auch ihre Parlamentarier und Beamten, jeden Zwang, jede Beschränkung ihrer eigenen Entscheidungsfreiheit und der Verhaltensfreiheit ihres Landes als unwirklich oder zumindest als illegitim abzulehnen. Nicht nur durch das Fehlen institutionalisierter Grenzvorstellungen sind souveräne Staaten gefährdet, sondern auch dadurch, daß den Grenzsignalen, sofern sie überhaupt empfangen werden, ein niedriger Status zuerkannt wird, was sich sowohl in ihrem Prestige wie in ihrer Behandlung bei der Kommunikation bemerkbar macht....
Über ähnliche Auswirkungen in der Innenpolitik, wo der Verlust von Grenzvorstellungen und die Mißachtung von Grenzsignalen zu extremen Gruppenkonflikten und zum Bürgerkrieg führen kann, haben wir bereits in einem früheren Kapitel gesprochen. (a. a. O. S.291)


Dreizehntes Kapitel
Die Selbstabschließung politischer Systeme

Einige optimistische Betrachtungsweisen

In vielen alten Deutungen wird die Politik mit dem Guten identifiziert oder es steckt in ihnen zumindest der Gedanke, daß Politik moralisch gut sein könnte und deshalb auch gut sein sollte. Begriffe wie Gesetz und Recht, frei anerkannte Führung und institutionalisierte Autorität wurden erst allmählich im Laufe der Geschichte zu getrennten Begriffen. Selbst als die Menschen entdeckten, daß summum ius summa iniuria sein könne, und daß Gesetz weder Recht noch Gerechtigkeit bedeuten müsse, deuteten sie diese Erfahrung noch im Rückblick auf das >Goldene Zeitalter< der Brüderlichkeit, eine vergangene Ära, die noch ohne die neue Polarität von Sittlichkeit und Macht, in der kein Zwang vorhanden oder nötig oder in der jeder Zwang immer nur gut und gerecht gewesen war.
Während einige von vergangenen Zeitalter der Autorität und Gerechtigkeit träumten, projizierten andere diesen Traum in die Zukunft oder doch in das Reich der Ideale und des vielleicht teilweise Erreichbaren. Politische Utopien von Plato über Thomas Morus bis in unsere Tage hinein schildern Gesellschaftsordnungen, in denen Zwang und Gehorsam entweder nicht existieren oder eng mit einem positiven, genau umrissenen ethischen System verknüpft sind.
Eine andere Gruppe von Denkern ging so weit, die Übereinstimmung von Politik und Moral im menschlichen Leben als eine Wahrscheinlichkeit zu bezeichnen. Für John Locke und Adam Smith wird die Welt bewohnt von rational denkenden Männern und Frauen, die sich durch ihre Erfahrungen dazu bestimmen lassen würden, ein gerechtes System der natürlichen Rechte im politischen Bereich einzurichten. Diese gerechten Systeme würden, sobald sie einmal errichtet wären, von Dauer sein; und wenn sie durch Dummheit oder Ehrgeiz einmal vorübergehend gestört sein sollten, würde eine unausbleibliche Reaktion oder der erneute Druck der Erfahrung früher oder später einen natürlichen und gerechten Gesamtzustand wieder herstellen.
Wieder andere Denker waren bereit einzuräumen, daß die Errichtung eines gerechten politischen und sozialen Systems längere Zeit in Anspruch nehmen könne. Sie widmeten deshalb ihre Aufmerksamkeit vor allem dem zeitlichen Ablauf oder der tatsächlichen Stufenfolge durch die dieser erwünschte Zustand erreicht werden sollte. Sie entwickelten folglich Theorien über den Fortschritt... so sah es Condorcet...
Nach Kants Auffassung der Weltgeschichte träte der ewige Friede an die Stelle des Krieges und die Macht der Wissenschaft an die Stelle der Fürstenmacht in dem Maße, in dem Bewußtsein allmählich an die Stelle blindwütiger Streiterei träte. Wirtschaftlicher Überfluß, die Abschaffung der Klassen und das Absterben des Staates — so meinten Marx und Engels — würden den Kapitalismus und die Unterdrückung ablösen. Immerwährende Prosperität auf dem höchsten Niveau würde dank der vereinten Aktivität aufgeklärter Wirtschaftsführer dazu führen — so glaubte Herbert Hoover —, daß die Armut zunächst in den Vereinigten Staaten und allmählich wohl auch in der übrigen Welt ausgerottet werden könnte.
Alle diese Auffassungen betrachteten die Welt als imgrunde tatsächlich oder potentiell gut. Aber sie alle mußten zugleich eine Erklärung dafür finden, daß es in der Gegenwart immer noch Ungerechtigkeit und Bosheit gab...
Die Theorien des politischen Optimismus sind deshalb in gewissem Sinne potentielle Kreuzzugstheorien. Sobald nur die schuldigen Parteien, die Feinde der Aufklärung, die Fürsten, Kapitalisten, staatlichen Bürokraten oder die radikalen Agitatoren einmal aus der Gesellschaft eliminiert wären, würde alles in Ordnung sein. Natürlich können auch Menschen guten Willens über die genaueren Ursachen des Bösen geteilter Meinung sein. Sollten nur die deutschen Offiziere und >Junker< vernichtet werden, so fragten sich viele Amerikaner im Jahre 1944, oder lag die Schuld beim gesamten Volk der Deutschen?... (a. a. O. S.294)


Die Politik und das Böse


Die Tradition, im Politischen das tatsächlich oder potentiell Tragische oder Böse zu sehen, geht auf Augustinus zurück, und Anklänge an diese >augustinische< Betrachtungsweise der Politik, finden sich im Denken Martin Luthers, Johannes Calvins und Sören Kierkegaards. Spuren dieser Tradition finden sich auch im Werk von Denkern wie Max Weber und Karl Jaspers... Macht korrumpiert, so heißt es, und ohne Macht gibt es keine Politik. Menschen guten Willens haben keine andere Wahl, als entweder sich zurückzuziehen oder dieses unheilige Spiel so gut wie möglich mitzuspielen... (a. a. O. S.295)
Das Unvermögen von Herrschern und Staatsmännern, auch nur die pragmatischen Ergebnisse ihrer politischen Entscheidungen vorauszusehen, von den moralischen und seelischen Auswirkungen ganz zu schweigen, ist vielleicht doch die Regel und nicht die Ausnahme...
Kann es vielleicht sein, daß in der Natur der Autonomie, in der Selbststeuerung und Selbstbeherrschung jeder individuellen Persönlichkeit und jeder autonomen menschlichen Organisation ein Paradoxon steckt? Autonomie ist nicht möglich ohne Aufnahmebereitschaft für Nachrichten aus der Außenwelt; doch zugleich ist Autonomie auch unmöglich, wenn die von außen zufließende Information nicht weitgehend von internen Erinnerungen und Präferenzen verdrängt wird. Welche Fehlentwicklungen können bei diesem unstabilen Streben nach einem fortwährend sich verändernden Gleichgewicht auftreten, und wie groß ist die Wahrscheinlichkeit jeder autonomen Organisation, durch Funktionsstörungen und schließlich durch Selbstzerstörung zu enden? (a. a. O. S.297)


Autonomie und ihre Funktionsstörungen


Autonomie oder Selbststeuerung ist ein Merkmal aller Organisationen, deren Verhalten durch eine zyklische Abfolge von auf den Entscheidungszyklus selbst zurückwirkenden Entscheidungen gelenkt wird. Eine einfache Organisation dieser Art empfängt eine Information über ein äußeres Ziel und wird von ihrem eigenen inneren Ungleichgewicht zur Annäherung an dieses Ziel getrieben; auf der nächsten Stufe ihres Verhaltens wird sie durch den Empfang von Informationen gelenkt, die sowohl das Ziel wie ihr eigenes Verhalten und ihre Position gegenüber dem Ziel betreffen...
Die hauptsächlichen Ansammlungen von Erinnerungen (die sich in einer Organisation in den Köpfen einiger weniger Personen befinden können) und die hauptsächlichen Knotenpunkte der Entscheidungskanäle, an denen diese Erinnerungen auf die aktuelle Entscheidungsbildung einwirken, sind in diesem Sinne strategische Entscheidungsstellen. (a. a. O. S.298,299) Die Anordnung solcher Entscheidungsstellen kann im Lernprozeß von großer Bedeutung sein...
Individuen wie auch große soziale oder politische Organisationen können... lernen, ihr Verhalten laufend zu ändern. Sie können ihre Aufmerksamkeit in eine neue Richtung lenken, einzelne Präferenzen verändern und auch die Struktur und Konsistenz größerer Teile ihres Präferenzensystems modifizieren. Alles, was sie zu irgendeinem Zeitpunkt in der Außenwelt tun, ist ein Ausdruck der Verhaltenswahrscheinlichkeiten, die ihrer inneren Struktur in diesem Augenblick innewohnen. In diesem Sinne sagt man von Personen, sie handelten >ihrem Charakter gemäß< oder entsprechend ihren inneren Bedürfnissen, Trieben und Persönlichkeitsstrukturen.....
Je größer das Maß der Autonomie, desto größer muß das Ausmaß und die Leistungsfähigkeit der Speicheranlagen sein, die sie benutzt; je leistungsfähiger diese Speicheranlagen sind, desto wahrheitsgetreuer werden sie die Informationen speichern, die sich aus der sich verändernden Umwelt und den wechselnden Reaktionen der Organisation auf diese Umwelt ergeben. Jedes selbständig handelnde System muß deshalb, während es handelt, seine eigenen Erinnerungen und seine innere Struktur laufend umgestalten. ... (a. a. O. S.299,300)
Jedes autonome Entscheidungssystem wird nach dieser Darstellung wahrscheinlich früher oder später seine innere Struktur neu ordnen.
Ob diese Umgestaltung lebenserhaltend oder pathologisch (in der Terminologie Robert K. Mertons >funktional< oder >dysfunktional<) sein wird, hängt davon ab, ob sie die Wahrscheinlichkeit, daß das System künftig erfolgreich funktionieren wird , erhöht oder vermindert; insbesondere auch davon , ob die die künftige Lernleistung des Systems steigert oder nicht.... (a. a. O. S.300)
Unter allen autonomen Organisationen nehmen die politischen Systeme einen besonderen Rang ein. In der Politik geht es im wesentlichen um die Manipulierung vorrangiger Präferenzen und Prioritäten des sozialen Lebens durch die Androhung eines Zwanges und durch gewohnheitsmäßige Folgeleistung... (a. a. O. S.301)


Die Wahrscheinlichkeit von Funktionsstörungen


Die ... verschiedenen Arten von Funktionsstörungen... schließen alle in der einen oder anderen Weise eine Überbewertung bestimmter Daten oder Erinnerung in einem Entscheidungssystem ein...(a. a. O. S.302)

Allen diesen Haltungen liegt die Tendenz zugrunde, die Gegenwart höher zu bewerten als die Zukunft, selbst auf Kosten zukünftiger Möglichkeiten. Wir geben dieser Neigung unmittelbar nach, wenn wir Wälder zu Holz schlagen, ohne wieder aufzuforsten, oder wenn wir die Erosion des Bodens um sich greifen lassen. Wir geben ihr indirekt nach, wenn wir uns weigern, mit der Wahrscheinlichkeit einer Bevölkerungsvermehrung in fast allen Teilen der Welt während der nächsten dreißig oder vierzig Jahre zu rechnen, und wenn wir uns um die Verpflichtung drücken, unsere politischen, sozialen und wirtschaftlichen Zukunftsvorstellungen entsprechend zu programmieren.
Worauf es hier ankommt, ist nicht so sehr die Bedeutung der einzelnen Fehlleistungen oder Unterlassungssünden, sondern es ist vielmehr die Neigung einzelner Personen, sozialer Gruppen und politischen Organisationen, die Gegenwart zu überbewerten und solche Fehler immer wieder zu begehen, weil keine besonderen Vorkehrungen oder Verfahrensweisen entwickelt wurden, um sie zu vermeiden...

Eine umfassendere Kategorie von Beispielen liefert die wohlbekannte Neigung zum >Ethnozentrismus<, das heißt die Überbewertung der Ideen und Lebensgewohnheiten der eigenen Volksgruppe und Kultur. Zum Teil wird diese Neigung unmittelbar durch die bloße Häufigkeit persönlicher Kontakte erzeugt: wenn die Bevölkerungsdichte eines Gebietes ansteigt und sich unter der Einwohnerschaft eine relativ homogene Kultur entwickelt, wird nur ein immer geringer werdender Anteil der verfügbaren Zeit und Aufmerksamkeit für über dieses Gebiet hinausgehende Kontakte übrig bleiben. Bevor wir darüber jubeln, daß die Geschwindigkeit des modernen Flugverkehrs die Entfernungen auf dem Erdball für einige wenige zahlungskräftige Passagier hat schrumpfen lassen, sollten wir daran denken, daß die Postsendungen, die über die nationalen Grenzen hinweggehen oder an Bürger anderer Länder gerichtet sind, heute einen geringeren Anteil am gesamten Postverkehr ausmachen als noch vor fünfzig Jahren... (a. a. O. S.304)

Starke Reaktionen, die zu spät kommen, sind ein Kennzeichen der >Übersteuerung<, etwa wenn ein ungeübter Autofahrer dem linken Straßengraben mit knapper Not noch ausweicht, indem er den rechten Straßengraben ansteuert... (a. a. O. S.305)

Je starrer die Strukturen und Hilfsmittel einer Organisation an bestimmte Funktionen und Zwecke gebunden sind, desto weniger leicht sind sie für eine neue Aufgabenstellung verfügbar, und desto geringer sind damit die Chancen für jede Neuordnung des Systems... (a. a. O. S.307)


Wie kann Autonomie vor Funktionsstörungen bewahrt werden?


...Selbst wenn bestimmte Institutionen oder Werte vorgeschlagen wurden, geschah es häufig mit dem nachdrücklichen Vorbehalt, daß es der >Geist< — das heißt die Geisteshaltung, die Strategie zweiten Grades zur Auswahl von Werten und Wertsystemen — sei, der als entscheidender Faktor in bestimmten Verfahrensweisen oder Handlungsabläufen am Werk sein müsse, um ein Überschlagen in die Selbstzerstörung zu unterbinden. Übrigens richteten diese Anregungen sich in der Regel an Individuen, nicht an Staaten, Völker oder Organisationen. (a. a. O. S.308,309) Diese Einseitigkeit hat ihre Berechtigung, da es einzelne Menschen sind, die in allen größeren Gruppen dieser Art einen großen Teil der Entscheidungsfunktion ausüben. Sie üben aber nicht die gesamte Entscheidungsfunktion aus. Viele Entscheidungen hängen teilweise von der Zusammenstellung der Kommunikationskanäle und Entscheidungsstellen im politischen und sozialen System ab, und die individuelle Einwirkungsmöglichkeit auf diese Entscheidungen sollte nicht überschätzt werden....

Hier käme der nicht zu unterschätzende Vorteil einer biotelen Gesetzgebung zum Tragen, dass jedermann das Recht eingeräumt wird, mit politischen und sozialen Vorschlägen bei deren Eignung eine politische Veränderung zu bewirken, wenn der jeweilige Vorschlag durch die Gutachteninstanz als lebenstragende Verbesserung bestätigt wird. Allzu häufig wird diese Bestätigung wegen unklarer Sachlage nicht möglich sein; aber auch in klarliegenden Fällen hätte der Anregende wohl kaum Gehör bei entscheidungstragenden Personen gefunden, die ja von eingesessenen Interessenkreisen bürokratisch abgeschirmt werden.


Die Anregungen, von denen im folgenden die Rede sein soll, erscheinen in eine Sprache gekleidet, die dem Politikwissenschaftler vielleicht nicht vertraut sein wird, wohl aber einem jeden, der sich für religiöse Dinge interessiert. Es ist stellenweise Mode geworden, kurzerhand alle theoretischen Formulierungen, die in der Terminologie der Religion ausgedrückt sind , als >irrational< oder >nicht verifizierbar< abzulehnen... Wir wollen nichts weiter, als die zu erörternden Verfahrensweisen nach politischen Maßstäben und vielleicht auch unter dem Gesichtspunkt einer umfassenden Organisationsforschung auf ihre Rationalität und Brauchbarkeit hin zu überprüfen....


Demut und Stolz


Die erwähnten sechs verschiedenen Funktionsstörungen der Autonomie [sie fielen der Textverkürzung zum Opfer] zeigen durchwegs eine Überbewertung des Naheliegenden auf Kosten des Fernerliegenden, des Bekannten auf Kosten des Neuen, des Vergangenen auf Kosten des Zukünftigen. Sie waren verknüpft mit einer Überschätzung oder Überbewertung der Organisation gegenüber ihrer Umwelt, ihrer überkommenen Methoden und Zweckbindungen gegenüber neuen Methoden und neuen Bindungen, ihres gegenwärtigen Willens und ihrer gegenwärtigen inneren Struktur gegenüber allen Möglichkeiten grundsätzlicher Veränderung. (a. a. O. S.309,310)
Die Aufforderung zur Demut, die mehreren Weltreligionen gemeinsam ist, scheint unmittelbar auf mehrere Quellen solcher Funktionsstörungen zu zielen. Demut ist im Grunde wohl eine bestimmte Haltung gegenüber Tatsachen und Nachrichten, die von außerhalb unser selbst kommen, eine Aufnahmebereitschaft gegenüber Erfahrungen und Kritik, ein Feingefühl, eine Empfänglichkeit für die Bedürfnisse und Wünsche anderer. Als Ihr Gegenteil hat man schon immer die >Sünde des Stolzes< bezeichnet — jene Sünde, die nach G. K. Chesterton darin besteht, >die eigene Größenordnung im Universum zu verkennen<....
Alles in allem wird vom Begriff der Demut und ihrem Kontrast zur Sünde des Stolzes eine Haltung bezeichnet, die das Erlernen neuer Sachverhalte, die Pflege und Erweiterung der Kanäle für die Aufnahme von außen kommender Informationen und die Bereitschaft zu interner Neuordnung bejaht.
Nicht nur Religionen lehren eine Haltung der Demut; auch in der Naturwissenschaft und Politik ist ihre Bedeutsamkeit erwiesen... (a. a. O. S.310)

Im Bereich der Politik hat die Haltung der Demut vielleicht ihren hervorragendsten Ausdruck in den Gedanken und in der Persönlichkeit Abraham Lincolns gefunden. Ihre klassischen Zeugnisse sind wohl seine Rede zum zweiten Amtsantritt und seine >Gettysburg Address< sowie sein Ausspruch, daß >wir uns weniger darum kümmern sollten, ob Gott auf unserer Seite steht, und eher darum, ob wir auf Seiner Seite stehen<...


Lauheit und Treue


In jeder Zweckbindung liegt das Risiko der Starrheit und des Verlustes der Fähigkeit, der nächsten Herausforderung entgegenzutreten. Dies einmal erkannt, was liegt näher, als jede weitere Bindung wenn möglich überhaupt zu vermeiden? Im Wirtschaftsleben wird der >Kapitalanleger<, der sein Geld unter der Matratze versteckt hält, alle Risiken vermeiden, denen er ausgesetzt wäre, wenn er einer Bank anvertraute... (a. a. O. S.311)
Jede Bindung an politische Gesinnungen oder Handlungsweisen vermeiden zu wollen, heißt nichts anderes, als die eigenen Hilfsmittel höher zu bewerten als ihren praktischen Gebrauch und das eigene Selbst höher zu schätzen als jede Leistung, die man vollbringen könne. Bei Organisationen wie bei individuellen Personen bildet die fortdauernde Verweigerung der Zweckbindung eine besondere Variante von Ichbezogenheit und Selbstüberschätzung. Daß eine solche Selbstüberschätzung auf lange Sicht geeignet ist, zur Zerstörung der Autonomie und Lernfähigkeit zu führen, ist ein ganz guter Beleg für die Wahrheit der biblischen Voraussage, wonach derjenige sein Leben verlieren wird, der an ihm hängt, aber derjenige es gewinnen wird, der bereit ist, es zu verlieren... (a. a. O. S.312)

Zur Treue gehört eine Bindung an das eigene Urteil, und sei es auch nur unser Urteile bei der Auswahl der richtigen Autorität oder des richtigen Buches, dem wir folgen wollen; die Demut aber rät uns, unserm Urteil selbst in solchen Fällen zu mißtrauen. Auch in ihrem Zusammenhang bieten uns die beiden Begriffe noch nicht das Modell für ein perfekt funktionierendes System; sie können aber immerhin die Bedingungen abgrenzen, zwischen denen ein lebenserhaltender Ausgleich gefunden werden muß.
Ein Zusammenwirken von Demut und Treue, eine Fähigkeit zu rascher und nachhaltiger Zweckbindung, jedoch ohne Verlust der Aufnahmebereitschaft für abweichende Informationen und ohne Verlust der Fähigkeit zur Neuordnung und der Möglichkeit einer neuen Bindung an neue Ziele oder an neuverstandene bisherige Ziele — dies ist vielleicht eine Voraussetzung, die alle autonomen Systeme erfüllen müssen, um überleben zu können.


Ehrfurcht und Abgötterei


Wenn Demut dazu ermahnt, allen internen und routinemäßigen Informationen keinen allzu hohen Wert beizumessen, so liefert Ehrfurcht vielleicht die ergänzende Ermahnung, allen von außen kommenden Informationen und allen neuen Informationen den höheren Wert zuzuerkennen. In diesem Sinne haben sowohl Erich Fromm wie Jacques Maritain in ihren Schriften die Ansicht vertreten, daß es nicht möglich ist, einen Menschen zu lieben, ohne Achtung vor ihm zu haben, das heißt ohne der Integrität und Autonomie der geliebten Person , ihren Bedürfnissen, Wünschen und Nachrichten einen hohen Wert beizumessen. Was für die menschliche Liebe zutrifft, hat keinen geringeren Wahrheitsgehalt im weiteren Umkreis unseres Lebens. Ehrfurcht — ob nun als >Ehrfurcht vor der Natur< oder mit Albert Schweitzer als >Ehrfurcht vor dem Leben< oder im Sinne der Religion als Ehrfurcht vor Gott — schließt immer eine Aufnahmebereitschaft und eine hohe Wertung für alle Informationen über Dinge ein, die außerhalb unser selbst liegen und größer sind als wir selbst... (a. a. O. S.313)

Das Bekannte höher als das Unendliche und Naheliegende höher als das Universelle zu schätzen, ja das Bekannte und Naheliegende als absoluten Wert, als das Ein und Alles zu betrachten — das ist wohl die eigentliche Bedeutung der Abgötterei...


Die Liebe im Dilemma zwischen Weltbürgertum und Nationalismus


Zur Selbsterhaltung autonomer Organisationen gehört das immerwährende Streben nach einer Reihe von Gleichgewichtszuständen. Von außen kommende Nachrichten dürfen nicht sehr viel höher bewertet werden als interne Daten, weil sonst die Organisation einfach im Strom ihrer Umwelt dahintreibt. Aber interne Daten dürfen auch nicht höher bewertet werden als die Außenwelt, weil sonst die Organisation sich selbst durch ihre Macht, ihre Willkür und durch ihren Stolz zugrunde richtet. Vielleicht ist es gar nicht so ausgefallen, wenn wir annehmen, daß dieses Gleichgewichtsproblem seinen präzisen Ausdruck in dem Gebot gefunden hat: >Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.< Es ist dies ein Gebot, das zugleich die Gegenpole der Liebe andeutet: Selbsterniedrigung und Selbstvergötzung. Kein Individuum, keine Kultur, kein Volk und kein Staat kann bestehen ohne Selbstachtung, ohne seinen eigenen Erinnerungen und seinem eigenen Charakter einen positiven Wert beizumessen. Aber weder ein einzelner Mensch noch ein Staat kann die Kontrolle über sich selbst behalten, wenn er seine gegenwärtigen Erinnerungen und Präferenzen so hoch einschätzt, daß er sich damit die Möglichkeit zur Entwicklung und Veränderung unter der Einwirkung von Erfahrungen und Informationen aus der Außenwelt selbst verbaut. (a. a. O. S.314,315)


Über die 68er Kulturrevolution des vergangenen Jahrhunderts ist Deutschland über die erfolgreiche geistig-ideologische Umerziehung — eine Fortsetzung der Weltkriege gegen Deutschland — die uns Deutschen den Nationalstolz ausgetrieben hat und zugleich den Selbstbehauptungswillen, scheinen wir wir unmittelbar vor der Selbstauslöschung zu stehen (vgl. Thilo Sarrazin: "Deutschland schafft sich ab" und "Europa braucht den Euro nicht").. Aber die Weltbevölkerung als Ganzes, nicht nur Europa würde durch den Untergang der deutschen Kultur eine fühlbare Niederlage erleiden. Biotelie steht für eine Versöhnung, auch einer solchen zwischen der deutschen und der jüdischen Kultur, die sich gegenseitig früher so viel gegeben haben.
Die verblendeten Schwärmer für den übers Knie gebrochenen sofortigen europäischen Zentralstaat sind eigentlich Anhänger eines strafforganisierten sozialistischen Weltbürgertums, der widerlegten kommunistischen Ideologie.
Daß auch K. W. Deutsch sich nicht so recht aus dem Korsett der Verheißung der jüdischen Religion von der Auserwähltheit lösen kann, kommt nicht nur in den Schlußsätzen seines Buches zum Ausdruck. Wollen wir ihm seinen Traum vom besseren Menschen schon wegen seines hervorragenden Buches verzeihen.


Im politischen Leben der Nationalstaaten ist dieses grundlegende Problem seit dem achtzehnten Jahrhundert immer wieder in der Auseinandersetzung zwischen Nationalismus und Weltbürgertum ans Tageslicht getreten. In jenem Jahrhundert gab es viele Menschen, die behaupteten, ihre Heimat sei dort, wo es ihnen am besten ginge, und die der Masse ihrer Landleute, die ärmer, weniger talentiert oder weniger gebildet waren als sie selbst, einen geringeren Wert zuerkannten. Sie selbst fühlten sich eigentlich nur zu Hause in einer internationalen Zunft der Prominenten, sei es in einer Geburts- oder Geisteshierarchie oder in einem Kreis der meisterhaften Könner auf einem spezialisierten Gebiet der Kunst oder Wissenschaft, wo das Niveau ihrer Leistung genügend Schutz gewährte, um ihnen viele ihrer weniger gesegneten Landsleute vom Leibe zu halten.
Die Reaktion gegen die >horizontale< Exklusivität des Weltbürgertums nahm häufig die Form einer >vertikalen< Exklusivität des Nationalismus an. Keine Kunst, keine Wissenschaft, keine Ideen und keine Führer sollten geduldet werden, die nicht auf dem Boden der Nation gewachsen waren. Das Gebot der großen monotheistischen Religionen, >Du sollst keine anderen Götter haben neben mir<, fand ein merkwürdiges Echo im Anspruch des Nationalstaates und der Nationalisten, die sich anschickten, in seinem Namen zu sprechen: >Es darf keinen Idealismus geben neben unserem Nationalismus!<

Beide Betrachtungsweisen, Weltbürgertum und Nationalismus, die Unterschätzung wie die Vergötzung des eigenen Landes, sind geeignet, auf lange Sicht die Autonomie und Integrität der politischen Gemeinschaften zu untergraben und damit auch das nationale Interesse zu schädigen, dem zumindest die Nationalisten zu dienen vorgeben.
Beide sind weit entfernt vom Prinzip der Liebe, wonach wir unsere Nachbarn so schätzen und achten und lieben sollen wie uns selbst, ja auch unsere Nachbarländer auf diesem Planten lieben sollen wie uns eigenes Land... (a. a. O. S.315)
Um der Anspannung des unentwegten Strebens nach einem fast unerreichbaren Gleichgewicht zu entrinnen und um in unserem Umkreis wenigstens einen kleinen Bereich der Voraussehbarkeit zu erhalten, haben die meisten von uns sich entschlossen, den Problemen und Personen, die uns am nächsten stehen, also unserer eigenen Familie und unserem eigenen Land, eine eindeutige Präferenz zuzuerkennen...
Eine wirklich autonome politische Organisation mit den Mitteln, die ihr jederzeit gegeben sind, auf unabsehbare Zeit am Leben zu erhalten, das ist — so sind wir versucht zu folgern — letztlich wohl eine unmögliche Aufgabe.

Neugier und Gnade


Neugier ist ein empirisch beobachtbares Verhaltensmerkmal des Menschen und auch vieler höherer Tiere. Experimente haben gezeigt, daß viele Tiere einen >Untersuchungstrieb< haben, der ihre Aufmerksamkeit auf neue Reize lenkt...
Neugier kann eine Art >Ziellosigkeit bewirken: die neuen Entdeckungen oder Sachverhalte werden als überaus bedeutungsvoll akzeptiert, ohne daß zugleich auch die wahrscheinlichen Konsequenzen für Integrität und Autonomie ausreichend berücksichtigt werden... (a. a. O. S.316)

An diesem Punkt kann der Begriff der Gnade vielleicht eine ganz wesentliche Abweichung von Haltung der Neugier deutlich machen. Unter dem Aspekt der Gnade können wir Informationen oder Ereignisse, die von außen zu uns dringen, als Antworten auf unsere innersten Probleme der Selbstbestimmung betrachten. Sie sind uns zur Verfügung gestellt nicht als bloße Werkzeuge zur Erlangung vorgefaßter und eng begrenzter Ziele und auch nicht als überwältigende Kräfte, von denen wir hilflos mitgerissen werden, sondern als unwahrscheinliche Ereignisse und Sachverhalte, in denen wir vielleicht die fehlenden Ergänzungsstücke zu unseren Denkproblemen, die entscheidenden Einzelheiten zur Lösung einer bestimmten Krise unseres Entscheidungssystems entdecken können... (a. a. O. S.317,318)

Der Biologe Walter B. Cannon umschrieb mit dem Ausdruck >serendipity< die Fähigkeit des Wissenschaftlers, neue und unerwartete Erkenntnis im Verlauf der Untersuchung zu gewinnen, die eigentlich einem ganz anderen Gegenstand gewidmet waren...

Wenn auch jede zufällige Entdeckung von Bedeutung tatsächlich auch dann unwahrscheinlich und unvorhersehbar sein mag, wenn der Geist des Wissenschaftlers im Sinne ...Louis..Pasteuers >vorbereitet< ist, so wird sie doch noch viel unwahrscheinlicher, wenn der Geist des Wissenschaftlers unvorbereitet bleibt, weil sie in diesem Fall wahrscheinlich nicht weiter verfolgt würde. (a. a. O. S.318)
Mit dem Begriff der Gnade sind deshalb drei Grundhaltungen verknüpft:
1. Die Anerkennung der Tatsache, daß auf lange Sicht irgendwelche unvorhergesehene Ereignisse oder Daten der Außenwelt wesentlich und notwendig sind, um Lösungen entscheidender innerer Steuerungsprobleme jeder autonomen Organisation zu ermöglichen...

2. Die Erwartung, daß das Universum auch tatsächlich die wesentlichen Daten und Vorgänge enthält, die zur Lösung der Steuerungsprobleme der Organisation notwendig, aber gegenwärtig in ihren inneren Hilfsmitteln nicht gegeben sind...

3. Die Annahme, daß ungeachtet dieses Sachverhalts eine ständige Empfänglichkeit für wesentliche neue Erfahrungen und Daten die Wahrscheinlichkeit erhöhen wird, daß solche Erfahrungen und Daten rechtzeitig gefunden und verwertet werden können, um der Selbstzerstörung entgegenzuwirken. Empfänglichkeit ist dann vorhanden, wenn die neuen Daten nicht einfach als Mittel für vorgefaßte Zwecke verwendet, sondern auch so eingesetzt werden, daß sie auf entscheidende Stellen des Entscheidungsprozesses und selbst auf Entscheidungen über eine möglicherweise fundamentale innere Neuordnung des Entscheidungsprozesses einwirken können.... (a. a. O. S.319,320)

In ähnlicher Weise [wie Heraklit oder Propheten] kann man sich eine sehr große soziale oder politische Organisation, die vielleicht Millionen von Menschen umfaßt, als ein Gehäuse vorstellen, in dem ein gewaltiges internes Universum möglicher Denk- und Verhaltensmuster eingeschlossen ist. Gleichwohl ist auch das gewaltigste interne Universum, das wir uns vorstellen können, notwendigerweise winzig im Vergleich zum Universum, von dem es umgeben ist. Während also die der Gnade angemessene Haltung wohl auch Empfänglichkeit gegenüber internen Initiativen und Erkenntnissen einschließen kann, wird die doch in der Hauptsache an die Außenwelt gerichtet sein. (a. a. O. S.320)


Eklektizismus und Geisteshaltung


Wie kann eine autonome Organisation Informationen aus der Außenwelt in ihre allerwichtigsten Entscheidungen einbeziehen, ohne zugleich ihre eigene Identität zu verlieren? Der Einfluß auswärtiger Informationen kann ergeben, daß Entscheidungen entstehen, die miteinander unvereinbar sind. Ihre Einwirkung auf die Neuordnung innerer Strukturen kann ergeben, daß sich im System innere Teilstrukturen ansammeln, zwischen denen nur geringe Kommunikation und Koordination möglich ist. In solchen Fällen kann unkritische Aufnahmebereitschaft die Autonomie oder gar das ganze System zerstören. Auch wenn das System selbst überlebt, kann dennoch seine Steuerungsfähigkeit und seine Befähigung zu weiterem Wachstum entscheidend geschwächt sein....

Wenn wir einen Wert als Entscheidungsmuster für eine bestimmte Klasse von Problemen verstehen, dann ist Geisteshaltung die Menge aller Werte zweiten Grades, die ein Entscheidungsmuster beschreiben, nach dem Werte  ersten Grades ausgewählt werden. Eine Geisteshaltung bildet nach dieser Auffassung eine in sich stimmige strategische Konzeption von Werten im Unterschied zu den >taktischen< Werten, nach denen sich die einzelnen Entscheidungsklassen richten. Eine so verstandene Geisteshaltung wäre der Gegenpol des Eklektizismus, zugleich aber auch das Gegenteil engstirniger Intoleranz oder Borniertheit. Als strategisches Wertmuster wird sie von wechselnden >taktischen< Wertmustern ersten Grades in Funktion gehalten. Durch die Suche nach solchen Wertstrategien und deren Identifizierung in den bestehenden Strukturen könnten wir besser verstehen, ob und warum in einem autonomen System die Integration fehlt oder vorhanden ist. (a. a. O. S.321)

Der Leviathan des Thomas Hobbes, jener Riese, dessen Körper sich aus vielen kleinen Menschen zusammensetzt, ist vielleicht geistig schwerfälliger als seine Einzelteile, auch wenn sein Gesichtskreis den ihren weit übertrifft. Weitläufige politische Systeme sind den individuellen Menschen, aus denen sie sich zusammensetzen, im Denken, Rechnen und in der raschen Entscheidungsbildung unterlegen, doch fehlt diesen im allgemeinen die umfassende Information, die den Regierungen zur Verfügung steht. In der Politik haben langsam denkende Bürokratien meist Zugang zu sehr weitgespannten Informationsbereichen, während schnell denkende Einzelpersonen durch mangelnde Kenntnisse in entscheidenden Bereichen behindert sind.

Mit dem biotelen Gutachtenverfahren soll dies für die Gutachter weitgehend ausgeglichen werden, in denen diesen Informationsrechte nach automatischer statistischer Überarbeitung in den Kontrollzentren (Kontrollkörpern) für ihre Themenbearbeitung gesetzlich zugänglich gemacht werden.

Die Autonomie, die Komplexität und der Leistungsbereich der Selbststeuerung ist also bei der individuellen menschlichen Persönlichkeit viel größer als die Autonomie und Steuerleistung einer sozialen Organisation jeweils sein kann, obgleich einzelne begrenzte Funktionen von größeren Organisationen wirksamer ausgeübt werden können. Das Problem der politischen und sozialen Integration besteht daher im wesentlichen  in der Integration von Gruppen autonomer Einheiten, deren jede ihre eigene Wertstrategie hat; der Erfolg oder Mißerfolg der politischen Integration bemißt sich danach, ob eine Wertstrategie zweiten Grades, eine >gemeinsame Geisteshaltung<, vorhanden ist, die sich in den verschiedenartigen Wertmustern und Steuerungssystemen der kleineren autonomen Einheiten nachweisen läßt...
Was die langfristigen Überlebenschancen jedes autonomen Systems betrifft, so fanden wir, daß sie in entscheidendem Maße von der Vielfalt und Reichweite der Beziehungen abhängt, welche das System mit den außerhalb seiner eigenen Grenzen entstehenden Ereignissen und Informationen verbindet. Seine Überlebenschancen werden also auf lange Sicht weitgehend davon abhängen, ob das System in der Lage ist, nicht nur sich selbst ständig zu verändern und neu zu strukturieren, sondern auch Integrationsbeziehungen mit anderen Systemen herzustellen. (a. a. O. S.322,323)


Politik als sozialer Entscheidungsbereich: Folgerungen für die Forschung


Unsere Überlegungen haben gezeigt, daß es sich bei der Erhaltung einer individuellen oder Gruppenautonomie, ja selbst bei der Erhaltung einer gewissen Autonomie ganzer Nationen oder der gesamten Menschheit nicht allein um ein politisches Problem handelt. Die Erhaltung der Autonomie berührt vielmehr den gesamten Bereich des individuellen und sozialen Lernens von naturwissenschaftlichen Entdeckungen und wirtschaftlichen Neuerungen bis hin zu den subtilsten Veränderungen auf dem Gebiet der Kultur, Ethik, der Werte oder der Religion.
Gleichwohl nimmt in diesem Bereich die Politik eine besondere Stellung ein:
Zur Politik gehört die Steuerung oder Manipulierung menschlicher Verhaltensweisen mit Hilfe einer Kombination aus angedrohtem Zwang und gewohnheitsmäßiger Folgeleistung...
Die Politik ist demnach ein entscheidendes Instrument zur Erzeugung, Erhaltung oder Veränderung sozialer Zweckbindungen.
All dies spricht dafür, daß es sinnvoll ist, die Politik unter dem Gesichtspunkt der Autonomie, der Steuerleistung, der Kreativität, der Macht, der Lernfähigkeit und Selbsterhaltung zu erforschen.... (a. a. O. S.323)

Welche institutionellen Einrichtungen und welche Anreize sind vorhanden, um Kritik zu ermutigen, sie an die Entscheidungsstellen heranzutragen, und die Empfänglichkeit des Systems für jede Art von Kritik zu gewährleisten? Wie sehen die Lernreaktionen des Systems aus?...


Hier wäre die Einführung des biotelen Gutachtenverfahrens mit allgemeinem Antragsrecht für politische und soziale Verbesserungen ein revolutionärer Schritt.


Es ist denkbar, daß wir und den augustinischen Standpunkt zu eigen machen müßten, wonach das Gewicht der Wahrscheinlichkeiten nach wie vor nicht für ein Überleben, sondern letztlich  für die Selbstzerstörung jedes autonomen Systems spricht. (a. a. O. S.324,325)

Oder vielleicht kämen wir auch zu der Ansicht, daß die bewußte Erkenntnis dieser Zerstörungsgefahr schon in sich selbst ein Faktor sein kann, der die Gefahr mildert, und daß das Universum neue Hilfsmittel in genügender Zahl bereithält, um allen jenen autonomen Systemen eine dauerhafte Überlebenschance zu bieten, die es fertigbringen, sich bereit zu halten und sie zu nutzen... (a. a. O. S.325)


Vierzehntes Kapitel
Machtpolitik und Wachstumspolitik


Politischer Wille


Der Wille beurteilt die Relevanz von Ereignissen und Nachrichten nach einem zeitlichen Maßstab: Informationen, die vor dem Augenblick der Entscheidung empfangen wurden, können noch als relevant berücksichtigt werden, spätere Nachrichten nicht mehr. Wille in diesem Sinne bezeichnet eine funktionale Priorität aller vor einer Entscheidung eingetroffenen Daten gegenüber allen danach eintreffenden...
Da der Wille fähig ist, zäh an einer einmal gefaßten Entscheidung festzuhalten, scheint er den Ausweg anzubieten, mit dem man die psychische Belastung weiterer Entscheidungsbildung umgehen kann.
In Gruppen oder Regierungsapparaten, wo eine bestimmte Entscheidung vielleicht erst nach beträchtlichen Schwierigkeiten zustande gebracht wurde, kann es vorteilhaft erscheinen, beispielsweise an einer außenpolitischen Entscheidung und den Verfahrensweisen, die ihrer Ausführung dienen wollen, ein für allemal festzuhalten. Der Vorteil eines solchen Verhaltens liegt auf der Hand: das ursprüngliche Problem braucht nicht wieder aufgeworfen zu werden; und erneute innenpolitische Konflikte werden dadurch vermieden. (a. a. O. S.327,328) Ähnlich liegen die Dinge, wenn Entscheidungen einen Konflikt zwischen verschiedenartigen Werten bedingen: Beharrlichkeit kann sich dann als leichter erweisen als jede Korrektur....
In der Mythologie extremer politischer Bewegungen findet dieser Typus von Willen einen bezeichnenden Ausdruck in der Vorstellung von dem großen Toten, der aus dem Grab zurückkehrt.... In einer solchen Vorstellungswelt gilt der tote Held als Symbol der Befreiung aus allen Kompromissen und Frustrationen. Die Häufigkeit und Anziehungskraft solcher Symbole einer unwiderstehlichen Streitmacht der Toten — gleichsam die Anziehungskraft des >Todestriebes< in der Politik — steigert sich unter Umständen in dem Maße, in dem Angst und Frustration im sozialen und politischen Leben sich mehren.


Das Problem der politischen Macht


Die Idee eines Willens, der nicht bloß unbeugsam, sondern tatsächlich unwiderstehlich ist, schließt auch die Idee der Macht ein. Unter Macht verstehen wir gemeinhin die Fähigkeit, >uns< oder >unseren Willen< durchzusetzen... (a. a. O.S.328)

Wenn >Wille< als Wunsch verstanden wurde, nicht zu lernen, so ist >Macht< die Fähigkeit, nicht lernen zu müssen. In dieser einfachen Bedeutung sind Wille wie Macht Elemente der Pathologie des sozialen Lernens, und die Beharrlichkeit, mit der Moralisten, Philosophen und Theologen vor dem Willen und der Macht gewarnt haben, gewinnt hier ihren guten Sinn. Pathologisch ist ein Lernprozeß (mit entsprechenden Veränderungen der inneren Struktur), durch den die zukünftige Lernfähigkeit des Systems nicht erhöht, sondern vermindert wird. Wille und Macht können leicht in selbstzerstörerisches Lernen umschlagen, wenn sie zur Überbewertung der Vergangenheit gegenüber der Zukunft, der in einer begrenzten Umwelt erworbenen Erfahrungen gegenüber der Weite des umgreifenden Universums oder gegenwärtiger Erwartungen gegenüber allen möglichen Überraschungen, Entdeckungen und Veränderungen führen.
Wenn sie zum Exzeß getrieben werden, können Wille und Macht in ihrer einfachen Bedeutung die Entscheidungssysteme, in denen sie die Oberhand gewonnen, zugrunde richten... (a. a. O. S.329)


Eine Politik des Wachstums

Man hört oft, es sei Aufgabe der Politik, neben der Berücksichtigung spezieller und untergeordneter Interessen zunächst und vor allem das >öffentliche Interesse< oder das >Gemeinwohl< zu fördern. Wenn wir unterstellen, daß es so etwas wie ein Gemeinwohl gibt und daß sich das soziale Leben nicht allein im Konflikt der Gruppen erschöpfen darf, so müssen wir zunächst fragen, was denn dieses gemeinsame Wohl sei.
Trotz tiefgreifender Unterschiede der Kulturformen und Werte können wir vorerst annehmen, daß die Lebenserhaltung der Familie, der Gemeinschaft, des Volkes und der Nation wohl am ehesten zu den allgemein anerkannten Werten zu zählen ist. Im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit ihres Überlebens können wir alle politischen Systeme oder Organisationen in vier Kategorien einteilen:

1. Selbstzerstörerische Systeme, die womöglich auch unter relativ günstigen Umweltbedingungen zusammenbrechen;

2. Lebensunfähige Systeme, die mit großer Wahrscheinlichkeit nicht geeignet sind, mit den vielfältigen Problemen, wie sie unter fast allen Umweltbedingungen auftreten können, fertig zu werden; solche Systeme müssen allerdings nicht von vornherein selbstzerstörerisch sein;

3. Lebensfähige Systeme, die geeignet sind, ihre von vornherein gegebenen Überlebenschancen unter einer begrenzten Vielfalt von Umweltbedingungen zu realisieren;

4. Sich selbst entwickelnde und erweiternde Systeme, die fähig sind, ihre Überlebenschancen zu verbessern und ihren Aktionsbereich auf eine wachsende Vielfalt von Umweltbedingungen auszudehnen.

Während soziale Organisationen sich im allgemeinen von Organismen radikal unterscheiden, entsprechen die drei letztgenannten Kategorien tatsächlich in gewisser Hinsicht dem medizinischen Begriff der >Gesundheit< und mehr noch dem biologischen Begriff des >evolutionären Fortschritts<.*
* Julian Huxley: Evolution, the Modern Synthesis. New York und London 1943, S.556-578, und: Man in Modern World. New York 1951, S.7-27. (a. a. O. S.330,331) Auch dieser letztere Begriff orientiert sich an dem Gedanken einer langfristigen Überlebenschance und an der Tatsache der wahrscheinlichen Änderung der meisten Umweltbedingungen auf lange Sicht, so daß nur sich selbst verändernde und erweiternde Systeme überleben können, und zwar dank ihrer Fähigkeit mit verschiedenartigen Umweltbedingungen fertigzuwerden und ihre relative Unabhängigkeit von jeder von ihnen zu vergrößern...
Alle diese Gedanken, angefangen bei Emile Durkheims Idee der sozialen Gesundheit bis zu Julian Huyleys Begriff des evolutionären Fortschritts, führen letztlich zur Erkenntnis, daß Wachstum, Anpassungsfähigkeit und Lernfähigkeit wesentliche Voraussetzungen für das Überleben von Gesellschaften und Kulturen sind. Welche Dimensionen hat dieses Wachstum, und welchen Beitrag kann die Politik dabei leisten? (a. a. O. S.331)


Dimensionen des Wachstums


Als erstes Wachstumskriterium für politische Systeme können wir das Wachstum des Menschenpotentials und die Verbesserung seiner physischen und geistigen Gesundheit anführen.

Gegenüber einem weiteren Anwachsen der Bevölkerung sollten jedoch die meisten Staaten Bedenken tragen und geeignete Maßnahmen treffen.

An zweiter Stelle wäre das wirtschaftliche Wachstum zu nennen. Ohne daß wir nun die Literatur über Wirtschaftswachstum zu rekapitulieren versuchen, sei bemerkt, daß hier vor allen Dingen die Kapazität der verfügbaren Produktionsfaktoren gemeint sind, also Kapitalgüter, Boden und Arbeitskraft...

An dritter Stelle sind Wachstumskriterien zu erwähnen, die sich auf die Verfügbarkeit materieller und menschlicher Potentiale für neue Verwendungsbereiche beziehen. Insbesondere zu erwähnen ist hier die Entwicklung von operativen Reserven, die vom System zur Verfolgung neuer Ziel, zur Befriedigung neuer Anforderungen oder zur Bewältigung neuer Herausforderungen aus der Umwelt bereitgehalten werden.


Eine vierte Gruppe von Wachstumskriterien bezieht sich auf das Wachstum der Autonomie oder Selbstbestimmung. Dazu gehört einerseits ein Wachstum der Hilfsmittel und Funktionen, die den sozialen Zusammenhalt gewährleisten, also Reichweite, Vielfalt, Geschwindigkeit und Wirksamkeit der internen Nachrichtenübermittlung zwischen den einzelnen Menschen und zwischen den Institutionen oder Teilen der Gesellschaft oder des politischen Systems. Auf der anderen Seite gehört dazu auch ein Wachstum der Steuerungsleistung des Systems sowie eine Steigerung der Wirksamkeit, mit der das System die aus der Erinnerung entnommenen Daten verwendet, und der Informationsmenge, dies es von außen empfängt... (a. a. O. S.332)

Ein mögliches fünftes Kriterium des Wachstums ergibt sich unmittelbar aus diesem vierten. Eine wachsende Organisation, also auch ein wachsender Staat oder Regierungsapparat, muß in der Lage sein, die eigenen Kommunikations- und Organisationsprinzipien zu verändern, um den Gefahren der Größe... entgegenzuwirken.
Sie muß der sich verstärkenden Tendenz zur Selbstfaszination und schließlich zur Selbstisolierung gegenüber ihrer Umwelt widerstehen und sich häufig genug reorganisieren, um dadurch der wachsenden Bedrohung durch interne Nachrichtenüberlastung und Verstopfung der Übertragungskanäle entgegenzuwirken. Solche Gefahren — durch das >Parkinson Gesetz< und ähnliche Schriften über Politik und Verwaltung ins Licht der Öffentlichkeit gerückt* — können am wirkungsvollsten durch strategische Vereinfachungen behoben werden.
*C. Northcote Parkinson: Parkinson's Law, and Other Studies in Administration. Boston 1957

Wie sich schon oft in der Geschichte gezeigt hat, besteht organisatorisches Wachstum und technischer Fortschritt in einer solchen Vereinfachung eines entscheidenden Bindegliedes in der Kette der ineinandergreifenden und sich fortpflanzenden Vorgänge, durch welche die Organisation in Gang gehalten wird. So wurde etwa die immer umfangreichere schriftliche Überlieferung durch die Erfindung ständig vereinfachter Schriftzeichen und ständig weiter vereinfachter Schreib- und Druckverfahren entscheidend erleichtert... (a. a. O. S.333)

Ich überspringe hier die Reihe der von K. W. Deutsch präsentierten Beispiele und verweise auf das Endstufe der  Entwicklung der Schriftzeichen mit der elektronischen Datenverarbeitung, welche nur noch die beiden Zeichen + und - als Symbole kennt.

 

Alle diese Elemente des Wachstums bewähren sich in ihrem Zusammenwirken an dem Maßstab, den Simon Kuznets einmal aufgestellt hat, nämlich an der Fähigkeit einer Organisation, einer Volkswirtschaft oder eines Staates, den einmal gesetzten Zielen auch tatsächlich näher zu kommen. In diesem Sinne hängt Wachstum als Fähigkeit zur Annäherung an zuvor gewählte Ziele eng mit der Verstärkung des Willens und der Macht des Systems zusammen. Je nachhaltiger die Fähigkeit eines Systems,, alle äußeren Widerstände auszuräumen, desto größer die Wahrscheinlichkeit, daß ein bestimmtes selbstgewähltes Ziel erreicht wird. In diesem Sinne verkörpern Wille und Macht die Fähigkeit, eine zeitweilige Zweckbindung von Interessen und Hilfsmitteln zu verfestigen. (a. a. O. S.334,335) Kurzfristig gesehen sind Wille und Macht die wesentlichen Instrumente der Steuerungsleistung, der Autonomie und des Wachstums.

Eine sechste Gruppe von Kriterien bezieht sich auf langfristiges Wachstum. Hierher gehört jede Steigerung der Fähigkeit zur Zieländerung, also jede Ausweitung der Vielfalt möglicher Ziele, die eine Gesellschaft, eine Kultur oder ein politisches System anstreben kann. Hierher gehört auch die Lernfähigkeit, die nicht allein für operative Reserven sorgt, sondern auch eine tiefgreifende Neuordnung der inneren Struktur und damit der Herausbildung ganz neuartiger Funktionen ermöglicht. Hierher gehört schließlich die Steigerung der Fähigkeit, eine wirkliche Neuerung zu erzeugen, einzelne daraus sich ergebende Informationsmuster als Initiative auf die Regulierung des Verhaltens anzuwenden und schließlich durch eigene Kreativität gänzlich neue Strukturmuster in der physikalischen und sozialen Umwelt zu erzeugen.
Die bisher aus unserem Wachstumsmodell abgeleiteten Kriterien beziehen sich in erster Linie auf das Entscheidungssystem als Ganzes. Eine wesentliche Eigenart jeder menschlichen Organisation, durch die sich sie vom Ameisenhaufen unterscheidet, ist die Wechselwirkung zwischen dem Wachstum der Organisation einerseits und der Individuen und der mehr oder weniger autonomen Teilgruppen, aus denen sich die Organisation zusammensetzt, andererseits. In diesem Sinne ist das Wachstum menschlicher Organisationen immer ein Wachstum mehrerer autonomer Systeme auf mehreren Ebenen, und das autonome Wachstum und die erweiterte Selbstbestimmung der einzelnen Menschen ein Prüfstein des umfassenden Wachstums...
Das Wachstum des gesamten Entscheidungssystems ist also auch zu >messen< am Fortschritt einer zugleich ineinandergreifenden und differenzierenden Autonomie der Teilsysteme und somit an der Entwicklung eines Faktors, den manche Psychologen als >integratives Verhalten< — das die Autonomie der integrierten Einheiten nicht zerstört — kann wiederum im Zusammenhang stehen mit der Fähigkeit einer Gesellschaft oder eines Staates, mit anderen Gesellschaften und Staaten umzugehen, ohne daß es gleich zum Selbstmord oder zur gegenseitigen Zerstörung kommt... (a. a. O. S.335)


Innovationsbeschleunigung als Aufgabe der Politik


...Definieren wir den eigentlichen politischen Bereich als den Bereich der zwangsweise vollziehbaren Entscheidungen, die durch die hohe Wahrscheinlichkeit freiwilliger Folgeleistung und die gleichermaßen hohe Wahrscheinlichkeit eines angedrohten Zwanges wirksam sind, dann wird Politik zur Methode par excellence, und die vorrangige Behandlung bestimmter Nachrichten oder Befehle und die Umverteilung menschlicher und materieller Potentiale durchzusetzen.....
Beispiele für die konservative Funktion der Politik findet man in vielen Kulturen. Es ist vielleicht eine Eigenheit abendländischer Politik, daß sie einen weiten Bereich bedeutsamer Verfahrensweisen zur Beschleunigung der Innovation erschlossen hat. (a. a. O. S.336,337) Zu den wichtigsten dieser Verfahrensweisen zählen vielleicht die folgenden drei: die Herrschaft der Mehrheit, der Schutz der Minderheiten und die Institutionalisierung von Meinungsverschiedenheiten...
Politische Strukturen, die zu ihrem Funktionieren der Einstimmigkeit bedürfen — wie dies etwa in der Dorfpolitik des Orients vielfach der Fall ist — sind geeignet, die Geschwindigkeit des sozialen Wandels sehr weit herabzudrücken. Die Herrschaft der Mehrheit nach abendländischem Muster erlaubt dagegen viel schnellere Veränderungen...
Das Zusammenwirken der Herrschaft der Mehrheit, des Schutzes von Minderheit und der institutionalisierten Meinungsverschiedenheit, verstärkt noch durch einen systematisierenden, analytischen, kritischen und kombinatorischen Denkstil, verleiht den abendländisch geprägten Gesellschaften und politischen Systemen ein ungewöhnlich reichhaltiges Reservoir von Hilfsmitteln und Instrumenten zur Bewältigung rascher sozialer Lern- und Innovationsprozesse. Wenn  auch andere Kulturen diese Institutionen in ihrer abendländischen Form wohl kaum unverändert übernehmen können, so werden sie doch irgendwie dafür sorgen müssen, daß die Funktionen umfassender Nachrichtenbeschaffung und rascher Neuorientierung auch bei ihnen auf die eine oder andere Weise gewährleistet werden. (a. a. O. S.337)

Wie alle Verfahrensweisen, die der Erzeugung und Durchführung von Entscheidungen dienen, ist auch die Politik kein Zweck an sich. Wir kennen sogar eine Reihe von hochgemuten Zukunftsvisionen, angefangen von der frühen Christenheit bis hin zu H. G. Wells, die einen Zustand sozialer Entwicklung voraussahen, in dem jeder soziale Zwang und damit auch alle Politik überflüssig wäre. Was man von solchen Hoffnungen auch halten mag, in der Welt von heute ist jedenfalls die Politik ein wesentliches Instrument des sozialen Lernens. Sie wird besser als Instrument der Lebenserhaltung und des Wachstums und nicht mehr der Zerstörung dienen, wenn ihr Weg von Erkenntnis und Einsicht gewiesen wird...
Eine solche Perspektive ist auch für diejenigen unter uns von Bedeutung, die in der Politik mehr einen Wettstreit als einen Prozess des Erwachens sehen...
Auch in diesem Wettstreit werden Staat und Politik noch für lange Zeit die unentbehrlichen Instrumente zur Beschleunigung des sozialen Lernprozesses sein, mit dessen Hilfe der vielfach gespaltenen und noch immer in Staaten organisierten Menschheit eine schnellere Anpassung an die gefährlichen und doch hoffnungsvollen Aufgaben des Heranwachsens gelingen kann. (a. a. O. S.338)

Sehr geehrter Herr Wagner,

 

haben Sie vielen Dank für die Zusendung des Verweises.

Wie ich vermutet habe ist Ihre Verwendung der Texte in jeder Hinsicht redlich und aus Verlagssicht vollkommen legitim.

Entsprechend hat der Verlag nichts dagegen einzuwenden.

 

Herzliche Grüße und alle guten Wünsche

Ihr

Torang Sinaga

 


Von: Wolfgang Wagner [mailto:d-berlin@biotelie.de]
Gesendet: Mittwoch, 16. Januar 2013 23:48
An: Sinaga, Torang
Betreff: Politische Kybernetik

 


Wolfgang Wagner, Berlin, den 16.01.13

An den

Rombach Verlag KG

Verlagsleitung

Unterwerkstr. 5

79115 Freiburg i. Br.

Eigene Anmerkungen

 

Es ist eine irrtümliche und bedauerliche Fehlauffassung aus der Doktrin des Sozialismus-Kommunismus heraus, dass AUSLESE und damit auch Konkurrenz bekämpft werden müsse, ja überhaupt ohne schädliche Folgen bekämpft werden könne. Der Wettstreit bleibt in einer konstruktiven Politik unverzichtbar und ist eine Voraussetzung lebensverträglichen Wachstums auch im Sinne des Erwachens. Und Wettstreit mündet, so er ernsthaft betrieben wird, in der Regel in der AUSLESE.
Die Politik und in ihrem Schleppzug die Wissenschaft haben meines Erachtens viel zu wenig von K. W. Deutsch's Erkenntnissen Gebrauch gemacht, so wie der es doch angestrebt hatte. Mit dem Modellsystem Biotelie soll versucht werden, einen strikten poltisch-kybernetischen Regelungsbereich zu schaffen und damit einen Teilbezirk politischen Regelungs- und Entscheidungsmaterials aus ihr herauszulösen. Und etwas anderes ist es doch wohl nicht als eine Herauslösung, wenn in Biotelie die Regelungsverfahren das Machtgerangel dort ablösen, wo die Verhaltensweisen und zugehörigen Strukturen im Hinblick auf das Ziel der Lebenserhaltung mit hoher Wahrscheinlichkeit nach dem Stand von Fachwissen festgelegt werden können, falls und soweit die Mehrheit der Betroffenen dem nicht widerspricht.

Der massive Widerstand der herrschenden Kreise in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft ist natürlich vorprogrammiert, da diese bisher nahezu ausschließlich oder doch in beträchtlichem Maße an materiellem Gewinn, Ansehen und damit letztlich an Macht orientiert sind. Den durchschimmernden Optimismus von K. W. Deutsch, dass irgendwann in ferner Zukunft einmal Machtpolitik entbehrlich und hinfällig werden könne, kann ich jedoch auch nicht teilen.
Der in Jahr Millionen von der Natur herangezüchtete Mensch ist notwendigerweise auf Macht und nach dem Anwachsen auf Milliarden-Bevölkerungsstärke auf Politik angewiesen und bleibt dies, es sei denn eine globale Katastrophe würde die auf unserem Planeten lebende Zahl der Menschen wieder auf ganz kleine Reste herabsetzen. Aber auch dann würden wir doch wohl wieder zunächst mit dem Faustrecht beginnen.

Ich selbst war von Anfang an meinem Gelübde bestimmt und von den wundersamen "Zufällen", die in mir so etwas wie ein Berufungsgefühl in mir festigten. Ein Psychologie-Professor erregte sich darüber sehr und fand es belegt in den so verschiedenen Ansätzen in meiner Homepage 2002, mit denen ich meine Ideen so penetrant versuchen würde umzusetzen. Aber ist es nicht seltsam, wenn seit 1998 sich nicht ein einziger Professor oder Student auf meine Hilferufe in meiner Homepage auch nur zur Diskussion meldete, und vor etwa einem Jahr in nächster Nachbarschaft ein kompetenter Helfer mit sehr verwandten inneren Anliegen und ergänzenden Computerkenntnissen sich zur Mitarbeit bereit erklärte?

Das verkürzt — und dadurch leider verstümmelt — oben herangezogene Buch von Professor Deutsch hat mich stark beeindruckt und beeinflusst, nachdem es über eine billig vertriebene Restauflage "zufällig" in meinen Besitz gekommen war. Der Name des Autors verrät ja schon dessen zumindest teilweise Abstammung von deutschen Vorfahren. In diesem Zusammenhang möchte ich daran erinnern, dass ich bei allem Entsetzen und Bedauern über den Völkermord an den Juden durch das NS-Regime zugleich für eine Versöhnung und erneute enge Zusammenarbeit zwischen Juden und Deutschen eintrete, die doch historisch gesehen einmal besonders fruchtbar war. Die Überstrapazierung des "Holocaust"-Gedenkens und seines weitgesteckten Umkreises in Deutschland, die zu einem gefährlichen Verlust des natürlichen nationalen Selbstbewusstseins auch der Jugend geführt hat, steht dem noch im Wege. Dem an den Haaren herbeigezogene Argument der "Abschreckung" vor derartigen Verbrechen in der Zukunft, steht die Erfahrung gegenüber, dass ein gedemütigtes Volk in Krisenzeiten anfällig gegenüber Rettungspropheten wird, wie doch gerade die Auswirkungen des Versailler Vertrags lehren sollten. Auch das Irren und Versagen vieler Menschen jüdischer Abstammung in der Frühzeit der Sowjetunion muss doch vor dem Hintergrund der messianischen Hoffnung des Judentums und des Glaubens an ihren religiösen Auftrag zur Menschheitsbefreiung verstanden werden. In der Jahrhunderte langen Verwehrung eines eigenen Staates Israel kann doch auch eine
Wurzel des sozialistischen Internationalismus vermutet werden.
Namhafte Historiker zerbrachen sich den Kopf über Adolf Hitlers plötzlichen und so unversöhnlichen Judenhass.
Nach meinem Verständnis wurzelt dieser Hass teilweise auch in der Konkurrenz des "auserwählten Volkes", das auf Grund der Auslese jahrhundertelanger Verfolgung und Zurücksetzung nahezu alle die Vorzüge in sich vereinigte, welche Hitler sich von der "nordischen Rasse" und vor allem den Angehörigen des deutschen Volkes erträumte.
Ein international unangefochtenes unabhängiges bioteles Gutachtenverfahren kann derartigen nationalistischen und Irrtümern und Auswüchsen auf Dauer entgegentreten.
Es ist nicht völlig aus der Luft gegriffen, dass beim Kriegseintritt der USA im Ersten vor allem aber im Zweiten Weltkrieg, der doch kriegsentscheidend war, auch jüdische Führungskräfte eine nicht unbeträchtliche Rolle spielten:
War jemand wirklich nur Opfer einer Verschwörungstheorie, wenn er vor allem seit 1945 auch im Zusammenhang mit dem "Sieg des Kapitalismus" von einer "jüdischen Weltmacht" ausging?
Die aufsteigende neue Rolle der ostasiatisch-pazifischen Weltmächte und die Bedrohung der Weltwirtschaft durch den spekulativen Finanzkapitalismus sind Herausforderungen, denen die Menschheit sich nur erfolgversprechend stellen kann, wenn neben der Machtpolitik — auch im Bereich einer UNO mit verstärkter
Bedeutung — über ein bioteles Gutachtensystem auch ein politischer Sektor der politischen Regelungssteuerung eingerichtet wird.
Hierzu bedarf es einer Verständigung auf ein gemeinsames Basis-Wertesystem, in dessen Mittelpunkt mit der dynamischen Stabilität die Lebenserhaltung steht.
Karl Wilhelm Deutsch hat mit seiner "Politischen Kybernetik" einen wertvollen Beitrag geleistet.

Erst nachträglich erfahre ich über Wikipedia, daß Prof. Deutsch offenbar nicht jüdischer Abstammung war; da er sich bei der hohen Zahl jüdisch-stämmiger Soziologen in deren Umkreis bewegte, nehme ich von meinen früheren Ausführungen eben nur diese Abstammungsvermutung zurück. In der „Liste der emigrierten deutschsprachigen Sozialwissenschaftler“ von Wikipedia fehlt W. D.
noch. Ich bedauere, dass ich ihm während seiner Tätigkeit in Berlin nicht begegnete.
http://de.wikipedia.org/wiki/Karl_W._Deutsch

Politische Kybernetik ist ein unverzichtbarer integraler Bestandteil des System der Biotelie. Wird die Unabhängigkeit der Begutachtung gestört, so liegt kein bioteles Verfahren mehr vor, sondern es hat sich die Machtpolitik in ihr eingeschlichen. Gutachter müssen von der Gesetzgebung und ihren Ausführungsorganen gestützt freien Zugang zu den Informationen erhalten, welche sie für ihre Aufgabenerfüllung benötigen. Ausgenommen in den Bereichen technischer Unterstützung, deren Auswirkung sich nicht hemmend auf die freie Entscheidungsfähigkeit der Gutachter auswirken darf, darf es zu keiner Berufsentwicklung zum biotelen Gutachter geben, zu keiner Kastenbildung mit der dann eigene Berufsinteressen verbunden wären und die der Beeinflussung durch Privat- und Gruppeninteressen zugänglich würden.
Der Unabhängigkeit der Gutachtenabfassung steht die Abstimmung durch die über lebenswichtige Zusammenhänge so weit als möglich wahrheitsgemäß aufgeklärte Betroffenen zur Legitimierung der Gutachtenergebnisse als verpflichtende Gesetze an Bedeutung zur Seite.
Prof. Karl W. Deutsch hat deutlich gezeigt, welch hohe Bedeutung der möglichst wirklichkeitsgetreue Informationsaustausch zwischen allen Beteiligten des sozialen Systems in all seinen Gliederungen hat.


Die enge Verflechtung von Medien und Machtpolitik steht einer Mündigkeit der Bevölkerung durch wirklichkeitsgetreue Aufklärung über lebenswichtige Zusammenhänge entgegen, die doch Voraussetzung für eine verantwortungsvolle direktdemokratische Mitwirkung an der Regierung insbesondere mittels des biotelen Systems ist. Dass hier grobe und für Gesundheit und Freiheit gefährliche und zerstörerische Missbräuche unter dem Vorwand der Pressefreiheit vorliegen, ist unbestreitbar und leicht mit Beweisen zu belegen.
Es ist unumgänglich, dass über das unabhängige biotele Gutachtenverfahren eine Kontrolle über die öffentlichen Medien ausgeübt wird.
Definiert man jegliche Kontrolle der Publikationsmedien mit Zensur, so müsste man auf einer biotelen Zensur bestehen.
Die bisher bekannte Zensur bezog sich aber auf solche durch Machtpolitik und zielte unter Täuschung auf Machterhalt ab und wurde im Bonner Grundgesetz deshalb ausdrücklich unter Verbot gestellt, um die freie Meinungsbildung zu befördern.
Es hat sich aber herausgestellt, dass die Massenmedien derzeit von mächtigen Kapitalgebern und Interessenvertretern betrieben und kontrolliert werden unter die auch die regierenden Parteien zählen, und welche die öffentliche Meinungsbildung in gefährlichen Ausmaß manipulieren.
Zu den weithin verborgenen und doch wirksamen Mitteln dieser Manipulation zählen auch die Reizüberflutung und Ablenkung von der Auseinandersetzung mit lebenswichtigen Problemen. Bereits im Erziehungs- und Schulwesen muss darauf geachtet und das Ziel verfolgt werden, daß die Beschäftigung von Kindern und Jugendlichen mit den elektronischen Medien sich nicht vermeidbar hemmend auf die
Ausbildung und Erhaltung des Wahrnehmungs-, Denk- und freien Entscheidungsvermögens auswirkt.
Das Zensurverbot des Grundgesetzes bezweckt ein Verbot der Beeinträchtigung der freien Meinungsbildung und hält die freie Konkurrenz der Publikationsmedien für das diesem Zweck angemessene Mittel. Die öffentlichen Medien unterbinden jedoch diese freie Konkurrenz (Beispiele: Rundfunkaufsicht, Medienbeteiligung von Parteien), so weit eine solchen nicht einfach infolge wirtschaftliche Schwäche von Anbietern abweichender oder ungewöhnlicher Meinungen nicht gewährleistet ist.

Biotele Zensur würde also keine staatliche Einschränkung der Informationsmöglichkeiten bedeuten, wie sie vom Bonner Grundgesetz Artikel 5 unter Benennung als Zensurverbot von einer Handhabung ausgeschlossen wird, sondern eine Erweiterung der Unterrichtung der Öffentlichkeit mit dem Ziel möglichst tatsachen- und wirklichkeitsentsprechender Meinungsbildung. Biotele Zensur ist also lediglich Kontrolle auf Ausgeglichenheit von Information zur Behinderung von Fehlinformation ganz im Geiste des Grundgesetzes.

Es wäre denkbar, dass sich eine biotele „Zensur“ über den biotelen Gutachtenprozess in etwa in nachfolgenden biotelen Gesetzen auswirken könnte:

(Nachstehendes gilt natürlich erst im Rahmen und Umfeld der Vorbereitung einer biotelen Gesetzgebung, ist also noch Utopie) .

a.) Zwangsweise ist ein Informationsangebot zu verhindern oder doch zu erschweren, welches sich gegen die Aufrechterhaltung der Rechtsstaatlichkeit auswirkt.
Das unabhängige biotele Gutachtenverfahren, von Kontrollkörperbüros nur verwaltet und im unabhängigen Ablauf nicht beeinträchtigt, ist unverzichtbarer Teil der Rechtsstaatlichkeit.
In diesem Sinne muss ein Informationsangebot durch Strafen verhindert werden, das die biotele Gesetzgebung durch vor dem Hintergrund der Zielsetzung umfassender Lebenserhaltung sachlich unbegründete Einwendungen und Fehlinformation entgegen der vorherrschenden Meinungen in der Fachwelt behindert. Insbesondere gilt dies in Zeitnähe vor Abstimmung über biotele Gesetze hinsichtlich deren speziellen Inhalt und verstärkt, wenn Einzel- und
Gruppeninteressen einer biotelen Gesetzesregelung entgegenstehen.
Zensurmaßnahmen richten sich allein gegen Verbreitung in der allgemeinen Öffentlichkeit, nicht gegen Veröffentlichung innerhalb von wissenschaftlichen Fachorganen, soweit in diesen eine
kritisch-sachliche Sichtung und Beurteilung der Informationen erwartet werden kann und die Zugänglichkeit dieser Fachmedien durch Art ihrer Sprache oder andere Vorkehrungen auf ein sachkundigeres Publikum oder ein solches mit breiten Bildungsgrundlagen im wesentlichen beschränkt bleibt.
Strittige Sachverhalte sind möglichst über biotele und Begutachtung und möglichst ohne Zeitverzögerung abzuklären.

Es wäre an die Möglichkeit zweier Sanktionsarten gegen Zensurverstöße im Rahmen bioteler Gesetzgebung zu denken.

b-a. Freiwillige Vorzensur von Informationsangeboten an die Öffentlichkeit über eine biotele Begutachtung auf Kosten des Antragstellers, wonach eine Unbedenklichkeitsbestätigung von Strafmaßnahmen freistellt, auch wenn sich nachträglich eine schädliche Wirkung dieses Informationsangebotes herausstellen solle.

b-b. Nachträgliche Zensur mit der Folge von Strafmaßnahmen gegenüber den schädlichen Auswirkungen des Informationsangebotes. Dabei müssen die Strafmaßnahmen derart empfindlich ausfallen, dass ein Anreiz zum Verstoß gegen den Schutz des Gemeinwohles über Beeinflussung bioteler Gesetzesabstimmung möglichst gering gehalten wird.

c. Veröffentlichungen, die sich offen oder versteckt gegen das biotele Ziel der dynamischen Stabilität und die biotele Gesetzgebung oder einen biotelen Gesetzentwurf richten wären auch in massenwirksamen Medien gestattet, wenn zeitgleich und in mindestens gleichem Umfang und bei hervorgehobener Deutlichkeit in derselben Veröffentlichung eine entgegengerichtete begründete Stellungnahme aus Kreisen bioteler Vereine* und auf der Grundlage vom dem nächst dem Publikationsorgan gelegenen Kontrollkörperbüro veranlasste unabhängiger gestufte biotele Begutachtung auf Kosten des Publikationsorganes erfolgt.
Die Gutachter haben das Recht deutliche Bezugszeichen zu ihrem Antworttext auf dem beanstandeten Text der bioteliefeindlichen
Ausführungen anbringen zu lassen und bei Notwendigkeit für die inhaltliche Klarstellung eine Textraumerweiterung durchzusetzen.

*Biotele Vereine wären solche sog. Idealvereine, die sich der Pflege von Heimat, Kultur, der Ausübung von Sportarten, Berufen u.a. widmen und dabei satzungsmäßig beschlossen haben, das biotele Gesetzgebungssystem durch ihren Rat zu unterstützen, ohne irgendeinen materiellen Vorteil aus dieser Unterstützung für sich und ihre Mitglieder oder andere daraus zu ziehen.


Den Publikations-Medien müsste zur Pflicht gemacht werden, den biotelen Vereinen eine „biotele Ecke der Wissenschaft“ einzuräumen, um möglichst zeitnah berichtigend auf Darstellungen eingehen zu können, die dem Gemeinwohl abträglich sind. Diese Beiträge der biotelen Vereine müssten zuvor einer raschen biotelen Begutachtung unterzogen werden und könnten über eine derartige Begutachtung später auch richtiggestellt werden, falls sich Irrtümer eingeschlichen haben sollten. Der Wettbewerb zwischen Veröffentlichungsbeiträgen bioteler Vereine sollte ebenfalls über das biotele Gutachtenverfahren entschieden werden.

 

Auch im Zusammenhang mit der nur eingeschränkten Häufigkeit, klare Sachzusammenhänge zu erkennen und zukünftige Entwicklungswmöglichkeiten vorauszusagen, ist die Gefahr einer Beeinträchtigung der Öffentlichkeitsarbeit für Aufklärung und Unterrichtung durch „biotele Zensur“ äußerst gering. Sie kann noch dadurch gesenkt werden, dass professioneller gewinnbringender Beschäftigung mit bioteler Zensur organisatorisch entgegengearbeitet wird. Die heute schier unerträglichen Fehlentwicklungen auf dem Gebiet der Unterrichtung und die Zeit- und Kräftevergeudung durch Leerlaufkonsum auf fast allen Bereichen zwingen vielleicht in naher Zukunft zur Besinnung auf eine völlig neue Periode der Aufklärung.

Skeptikern gegenüber sei darauf hingewiesen, dass im Gegensatz zu den Gepflogenheiten in totalitären Regimen, eine aufdringliche öffentliche Propaganda mit Wandzeitungen, Plakaten und Spruchbändern oder gar Beschallungen zugunsten des biotelen Systems und auch unaufgeforderter elektronischer Datenversand — ausgenommen in Fällen lebensbedrohlichen Notstandes — nicht zulässig sein darf. Dieselben Einschränkungen gelten für die öffentliche Unterrichtung im Sinne der biotelen gutachterlichen Publikationskontrolle, ausgenommen zur Richtigstellung einer durch irreguläre und unzulässige Methoden weit verbreitenden entscheidungsbedeutenden Fehlinformation während eines außerordentlich bedeutenden biotelen Abstimmungsverfahrens.
Es muss die Regel sein, dass der Bürger die Gelegenheit zur biotel kontrollieren und gesteuerten Unterrichtung selbst sucht und ihr ausweichen kann.
Die Methodik des biotelen Gutachtenverfahrens mit dessen Grundlagen werden nur für die jeweils ernannten Gutachter zum Pflichtstudienobjekt.
Entgegen dem öffentlich gewordenen Vorwurf, damit stelle Biotelie eine Art Geheimlehre dar, sei daraufhingewiesen, dass eben von einer Indoktrination nach Art autoritärer Systeme, verbunden mit den negativen Erscheinungen des Widerwillens gegen eine solche, vorgebeugt werden soll. Das biotele System ist zu komplex für das Verständnis durch die Masse und das Studium der Biotelie Sache einer Elite ohne als Herrschaftsinstrument für diese geeignet zu sein.

 

Mit der biotelen „Zensur“, die eigentlich eine Zensurhemmung werden soll, und dem Aufbruch in ein solches Zeitalter einer erneuten Aufklärung würde die Klammer geschaffen, die zwischen einem System kybernetischer Politik und dem der Machtpolitik geschlagen werden muss. Platon wandte sich mit seiner Utopie vom idealen Staat bekanntlich an den Tyrannen von Syrakus; kybernetische Staatslehre, wie sie Karl W. Deutsch anregen will, muss sich an die Völker wenden. Die müssen aber erst für ihre ungewohnte Verantwortung vorbereitet und an möglichst viele Zusammenhänge in der Wirklichkeit herangeführt werden.

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